Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Die während jener Jahrzehnte als ‚Partikularismus‘‘ bezeichnete reichs- 
gegnerische Stimmung und Gesinnung nahm zu, zur Freude des Auslandes. 
Der unter Bismarck sorgsam gepflegte Trieb zu langsamem freiwilligen Zu- 
sammenwachsen nahm ab, das Wort ‚‚Reichsverdrossenheit‘‘ konnte un- 
gescheut laut werden, und durch Wilhelms II. tönende Reden höchstens 
noch stärkeren Inhalt gewinnen. Auch das alte Schlagwort von der Ver- 
preußung der anderen deutschen Staaten gewann wieder neues Leben. Den 
Nutzen von dem allen hatten nur alle die inneren Reichsfeinde. 
Den Kaiser focht das alles nicht an, er fühlte sich als der geniale gewaltige 
Herrscher, ‚um den alle anderen Länder das deutsche Volk beneiden‘“. — 
So sagte und schrieb das Byzantinertum. 
Über die kaiserliche Eintragung in das Goldene Buch von München ent- 
spann sich zwischen Eulenburg und dem Kaiser noch ein Brief- bzw. Tele- 
grammwechsel. Eulenburg, der damals Gesandter in München war, erzählte 
ihm sehr offen über die schlimmen Wirkungen in Bayern, überhaupt über 
die dortige Stimmung gegen den Kaiser. Hierauf antwortete Wilhelm II.u.a. 
in einer nicht chiffrierten Depesche: 
„Lassen Sie sich durch das Geschrei der dämlichen bayrischen Treue doch 
nicht irre machen, die auf jeden Blödsinn hereinfällt Ich habe weidlich 
über die unglaubliche Torheit der guten Bayern gelacht.‘ 
Selbstverständlich war die kaiserliche Depesche am nächsten Tage inganz 
Deutschland bekannt. Eulenburg schrieb dazu unter anderem: 
„Das gestrige Telegramm Ew. Majestät verletzt die Bayern an ihrer emp- 
findlichsten Stelle: der Eitelkeit. Es kann Konsequenzen haben, von denen 
wir uns heute noch nichts träumen lassen. Oder wollen Ew. Majestät den 
Kampf ?“ 
Außer diesen wegen ihrer besonderen Kraßheit hier angeführten Bei- 
spielen, gab Wilhelm II. in der endlosen Reihe anderer Fälle seiner Stellung- 
nahme dahin Ausdruck, daß die Bundesfürsten dem Himmel zu danken 
hätten, wenn sie überhaupt in ihren Stellungen gelassen würden, sie hätten 
eben zu ‚‚parieren‘‘. Hier muß freilich auch bemerkt werden, daß die Bundes- 
fürsten es an der nötigen inneren Unabhängigkeit und Willenskraft haben 
fehlen lassen. Sie hätten alle erforderlichen verfassungsmäßigen Mittel iin der 
Hand gehabt, um ihre Stellung zu wahren. Auch haben die Bundesfürsten 
zum großen Teil die Persönlichkeit des Kaisers weit überschätzt, fürchteten 
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