Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Die Zeiten sind vorbei, wo die internationale Fürstensozietät sich ein- 
mütig zusammentat, um ihre Interessen gegen die Käufer zu wahren. Die 
nationalwirtschaftlichen Fragen haben sich als mächtiger erwiesen, und mit 
der nationalen nicht zum wenigsten auch die Rassenfrage, welche auf dem 
europäischen Kontinent sich in nicht allzu ferner Zukunft in den Vorder- 
grund stellen dürfte.‘“ — 
Kaiser Wilhelm hat sich niemals als die Spitze der Pyramide ‚Volk‘ ge- 
fühlt, niemals als Glied des Volkes aus dem gleichen Stoff wie dieses. Viel- 
mehr sah er unter sich, zwischen seiner Person, zwischen dem Monarchen, 
zwischen dem Hohenzollernhaus und dem Volk als Ganzes einen leeren 
Raum, über welchen er als der von Gott unmittelbar erleuchtete Herrscher 
schwebte: ‚Er findet sich in einem ew’gen Glanze und euch taugt ein- 
fach Tag und Nacht.‘‘ So habe das Volk zum Kaiser und König, zum Herr- 
scherhaus als Ganzes, aufzusehen. Das Gegenteil wurde der Fall! Dem besten 
Willen, das Richtige zu tun, hat dem Kaiser früher niemand abgesprochen, 
auch die Geschichte wird es nicht tun, zugleich aber das Urteil fällen müssen, 
daß sein Weg, die monarchische Gesinnung im deutschen Volke zu stärken, 
der denkbar unrichtige gewesen ist und zum Gegenteil geführt hat. Nicht 
allein das furchtbare und schmähliche Ende des Kaisertums und des König- 
tums hat hierfür den Beweis geführt, sondern auch die gesamte Entwicklung 
oder Zersetzung im Deutschen Reich seit den ersten Regierungsjahren des 
Kaisers. 
Die Majestät — Von Gottes Gnaden 
Das deutsche Volk sei ‚‚monarchisch bis auf die Knochen‘‘, war eine in den 
damals herrschenden Klassen und Schichten sehr gern gebrauchte Rede- 
wendung. Man bediente sich ihrer besonders, wenn die Rede auf die sozial- 
demokratische Gefahr kam. Mit diesem Spuk werde man schon fertig 
werden, eben wegen der bis auf die Knochen gehenden Gesinnung des deut- 
schen Volkes. Wie stand es damit in Wirklichkeit ? Das ausgesprochene Ziel 
der Sozialdemokratie ist von Anfang an der Umsturz und im Anschluß daran 
die Republik gewesen. Darüber wurde an anderer Stelle gesprochen. Das 
gleiche Ideal hatte die Demokratie, Jedoch unausgesprochen. Ihr vorläufiges 
Ziel war Einführung des Parlamentarismus unter Belassung der Fürsten, 
jedoch deren Entmachtung, etwa nach der bekannten Parole: ‚Der König 
herrscht, aber regiert nicht.‘‘ Der nationale Liberalismus besaß in seinen 
guten Zeiten eine aufrichtige Begeisterung für das Kaisertum, daneben aber 
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