hatte, worüber wieder in England schwere Verstimmung entstand. Anderer-
seits ließ der Kaiser keine Gelegenheit ungenutzt, um in persönlichen Ge-
sprächen irgendwelche mehr oder minder hervorragende Franzosen zu be-
zaubern, dem Präsidenten Loubet ein schmeichelhaftes Telegramm über die
Besatzung eines französischen Schulschiffes zu senden. Dann mit einem Male
glaubte er, die Beziehungen zu Rußland politisch wiederherstellen zu
können, wenn erin Reden überschwenglich von der ‚jugendfrischen Helden-
gestalt‘ des neuen Zaren (der wirklich nicht so aussah) sprach, die sicher
jedem Deutschen vor Augen stehe; oder wenn er dem König von Spanien
versicherte, das ganze deutsche Volk sende für sein Wohlergehen heiße Ge-
bete zum Himmel! Der König besuchte deutsche Fürstenhöfe, um Prin-
zessinnen anzusehen, die würdig wären, von ihm als Gattin erwählt zu
werden; er fand keine und reiste wieder ab!
Von der Verwirrung, die eine wirklich heillose war, welche die Südafrika-
Politik des Kaisers in der deutschen Bevölkerung anrichtete, wurde in
anderem Zusammenhange gesprochen. Hier könnte eingewandt werden, daß
dem Kaiser doch unmöglich gewesen sei, die wahren Ursachen und Gründe
öffentlich bekanntzugeben. Das bleibt natürlich eine offene Frage, aber
selbst, wenn man die Unmöglichkeit zugeben wollte, so war es eben die von
heute auf morgen ‚‚große Politik‘ machende Leichtfertigkeit der deutschen
Südafrika-Politik, die im selben Augenblick zusammenbrach, als die Macht-
frage akut wurde. An die Stelle trat übergangslos das nicht vermeidbare
Gegenteil der bisherigen Politik, in Summa eine schwere Einbuße an An-
sehen, und darüber hinaus jene rastlose oder erbitterte Verwirrung der deut-
schen Bevölkerung und der schadenfrohe und propagandistisch wirkungs-
volle Schluß der Reichsfeinde in Deutschland :: der Kaiser macht ja nichts als
Unsinn, höchste Zeit, daß Deutschland zur Republik wird, zum mindesten
parlamentarische Regierung eingeführt wird! Daß dieser Gedanke, er muß
in der Geschichte jener Zeit immer wiederholt werden, im zweiten Jahrzehnt
der Regierung des Kaisers, immer stärkeres Leben gewann — sei es in den
nationalen Kreisen vielleicht auch nur als sorgenvolle Frage —, das hatte
ohne Zweifel die politische Wankelmütigkeit und das Mißverhältnis zwischen
den hohen Worten und den minderwertigen Leistungen zur Ursache, auch
die immer stärker werdenden Zweifel am Herrscherwert überhaupt der Per-
sönlichkeit Wilhelms II.
Der Kaiser wußte, als er auf den Thron kam, die Regierung antrat und
die Absicht in sich trug, Bismarck in kurzer Zeit zu entlassen, daß er Kaiser
mit einem Anspruch sein wollte, den der alte Wilhelm nie gestellt hatte, und
daß er ohne weiteres überzeugt war, den größten Staatsmann Europas er-
setzen zu können. Es gab in der ersten Zeit, auch abgesehen von der Schar
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