Full text: Von Potsdam nach Doorn.

der direkt und indirekt auf ihn einwirkenden Byzantiner, gar nicht wenige, 
die überzeugt waren, er habe alles Zeug zu einem großen Herrscher in sich. 
In seiner Prinzenzeit hatten da auch Bismarck und sein Sohn Herbert sich 
nach dieser Seite hin getäuscht, ihn jedenfalls für mehr gehalten, als er war, 
freilich nur so lange, bis er erkannte, daß der Kaiser — wie Bismarck einmal 
von Lord Salisbury gesagt hat —, mit Eisenfarbe bestrichen, aber nicht von 
Eisen sei. 
In jener ersten Zeit mag auch der Kaiser selbst geglaubt haben, alle 
erforderlichen Eigenschaften zu einem großen Manne zu besitzen. Vieles 
aber weist darauf hin, daß diese Überzeugung nicht lange angehalten hat. 
Wir denken hier nicht allein an jene lange Reihe außenpolitischer und innen- 
politischer Pläne und Unternehmungen, auf deren pompöse Auftakte bei 
unrühmlichem Zurückweichen der entsprechende Mißerfolg eintrat. An 
anderer Stelle ist Wilhelms II. Verhalten der Sozialdemokratie gegenüber 
geschildert, mit seinem Hin- und Herschwanken zwischen Kampfankün- 
digung und Gewährenlassen! Und wie auch in der Außenpolitik, war hier 
das Gewährenlassen Ergebnis des Mangels an Kraft, Entschlossenheit und 
Selbstvertrauen. Immer sollten große Worte Tat und Leistung ersetzen und 
ihn, den Kaiser selbst, über die Empfindung seiner Schwäche als Opium- 
traum hinwegbringen. 
Daß der Wille Wilhelms II. der beste gewesen ist, soll auch in diesem Zu- 
sammenhang betont werden. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. 
Auch Ludwig XVI. von Frankreich hatte ‚‚guten Willen‘, ebenfalls der Zar 
Nikolaus Il. Aber hier liegt nicht das Kriterium. Man könnte den, im wesent- 
lichen zutreffenden Vergleich anwenden: wenn ein Hühnerhund sich wei- 
gert, den Fuchs anzugehen, wenn ein Pudel nicht in den Dachsbau hinein- 
zubringen ist, so bedeutet das keinen Mangel an gutem Willen, sondern das 
sichere instinktive Bewußtsein, daß ihnen die Eignung und Kraft für die 
ihnen gestellte Aufgabe fehlt. Die ‚unvernünftigen‘ Tiere folgen weise dem 
Gebot ihres Wesens. Niemand kann sie dafür tadeln; wer es tut, ist un- 
vernünftig und ungerecht. 
Kaiser Wilhelm II. ist der Stimme seines Instinkts, die sich nach den 
ersten Proben wohl zu regen begonnen hat, nicht gefolgt, und so sehen wir 
jene immer peinvollere Wiederholung von Versprechen, von Wollen und 
Versagen, wie der Springer, der nach kühnem-Anlauf unter der Sprunglatte 
hindurchläuft. Der Anlauf ist immer freiwillig gewesen. Das ist das Ent- 
scheidende. Sobald dieser aber begonnen hatte, trat zugleich das Muß zum 
Springen ein. Wer instinktiv fühlte oder durch Erfahrung wußte, daß ihm 
dazu die Kräfte fehlten, durfte hier um so weniger den Anlauf machen, im 
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