Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Vertrauen auf und in der Hoffnung auf ein Versagen der Gegenseite, als er 
nicht „auf seine Rechnung‘ den Anlauf unternahm, sondern auf die des ihm 
anvertrauten großen Volkes und des schwer errungenen und dauernd um- 
drohten Reiches. 
Es ist nicht tragisch, wohl aber konnte es ein gewisses Mitgefühl erwecken, 
zu sehen, wie aufrichtig der Kaiser bestrebt war, Beliebtheit und Vertrauen 
zu finden, und wie dieses Bemühen fehlschlug, weil es fehlschlagen mußte, 
weil die Mittel, die er anwandte, ‚den Punkt‘ so gut wie niemals trafen, und 
weil er sich weder von seiner Eigenschaft befreien konnte, noch wollte: als 
mehr zu erscheinen, als er war! 
Leistung erwartete man vom Kaiser. 
Das taten auch diejenigen, die, wie jener Konservative, die Entlassung 
Bismarcks als eine ‚‚rettende Tat‘‘ gepriesen hatten. Gewiß war man auf 
allen Seiten, abgesehen immer von den geschworenen Reichsfeinden, bereit, 
dem jugendlichen Herrscher eine Bewährungsfrist zu geben, um sich ‚,‚ein- 
zuarbeiten‘‘. Dessen aber wollte er nicht bedürfen — ganz abgesehen davon, 
daß wirkliches Arbeiten seine Sache nicht war —, sondern alles kam eben 
gleich „Schlag auf Schlag‘ und, abgesehen von Helgoland, ging jeder Schlag 
daneben, begleitet durch eine Dauerflut von Reden. Im Februar 1888, knapp 
ein halbes Jahr vor dem Regierungsantritt, hielt der damalige Prinz Wil- 
helm eine Rede, die im ganzen Lande und bei allen Parteien — ein einzig- 
artiger Fall! — günstig aufgenommen wurde, vor dem Brandenburgischen 
Provinzial-Landtag: 
„Ich weiß wohl, daß im großen Publikum und speziell im Auslande mir 
leichtsinnige, nach Ruhm lüsterne Kriegsgedanken imputiert werden: Gott 
bewahre mich vor solch verbrecherischem Leichtsinn! Ich weise solche Be- 
schuldigungen mit Entrüstung zurück!“ 
Seine tatsächlich ganz aufrichtige Friedensliebe und seine Bemühung, 
nach Kräften den Frieden aufrechtzuerhalten, hat stets dieselbe Beurtei- 
lung im ganzen Deutschland erfahren. Nach reichlich einem halben Jahr- 
zehnt aber schon trat zu dieser Genugtuung die Frage: ja, das glauben wir 
ihm schon, aber warum macht er dann so viel Unruhe in der Welt durch 
seine Reden, und warum führt er immer wieder ganz unnötigerweise Lagen 
herbei, die zu Krisen werden und nur durch deutsches Nachgeben den Krieg 
vermeiden können ? 
In merkwürdiger psychologischer Verkennung gerade aller derjenigen 
Deutschen, deren Herzen er gewinnen wollte, weil er sie nicht hatte, ließ der 
Kaiser durch beinahe alle seine Reden den Gedanken hindurchgehen: nur 
von der Monarchie, nur vom Monarchen, nur von Mir, dem Kaiser, kanndem 
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