sich jahrelang auf seinen Beruf vorbereitend, ‚die großen Gedanken bereits
in seinem Haupte fertig, die es ihm ermöglichen sollten, das Reich wieder-
erstehen zu lassen‘! Ihm sei es gelungen, Preußen zur Vormacht Deutsch-
lands zu machen, und dann habe er das Vaterland aufgerufen und auf dem
Schlachtfeld der Gegner Einigung herbeigeführt. — Im Mittelalter würde
man ihn heilig gesprochen, und Pilgerzüge an seinen Gebeinen Gebete ver-
richtet haben. ‚‚Gott sei Dank, das ist auch heute noch so! Zu seiner offenen
Grabestür wandern alltäglich die treuen Untertanen mit ihren Kindern ...
Wir aber, meine Herren, werden besonders stolz sein auf diesen gewaltigen
Mann, diesen großen Herren, da er ein Sohn der Mark war. Daß Gott sich
einen Märker ausgesucht hat, daß muß etwas Besonderes bedeuten.‘
Der Kaiser weist dann auf die Gefahren des Umsturzes hin und schließt: nur
wenn man immer Wilhelms I. gedächte, könne man in diesem ‚Gefechte‘
siegen, nur, „wenn wir uns immerdar des Mannes erinnern, dem wir das
Vaterland, das Deutsche Reich, verdanken, in dessen Nähe durch Gottes
Fügung so mancher brave, tüchtige Ratgeber war, der die Ehre hatte, seine
Gedanken ausführen zu dürfen,die aber alle Handlanger waren seines er-
habenen Wollens, erfüllt von dem Geiste dieses erhabenen Kaisers.‘
Diese ‚Handlanger-Rede‘‘ gefiel wohl niemandem in Deutschland, den
Sozialdemokraten nicht, weil sie gegen den Umsturz aufrief, den Süd-
deutschen nicht, weil sie sich zurückgesetzt sahen, einem großen Teil des
Bürgertums nicht, weil es in der Rede ein neues Bekenntnis zum Absolu-
tismus erblickte.
Ganz allgemein aber war der Eindruck: das, was der Enkel hier sagt,
stimmt doch gar nicht! So ist unser alter, guter Kaiser nicht gewesen! Und,
von der Seite der sachlichen Wahrheit betrachtet, zeigte die Rede einen
ebenso großen Mangel an Kenntnis des Mittelalters wie der Geschichte des
Werdens des Deutschen Reiches und der Geschichte Wilhelms I. selbst: nie
hat Prinz Wilhelm von Preußen, der Thronfolger, auch nur daran gedacht,
sich auf den Kaiserberuf vorzubereiten. Nie hat er große Gedanken dafür in
sich getragen, so daß die Reichseinigung ein von ihm lange planmäßig ver-
folgtes Ziel gewesen wäre. Im Gegenteil hatte Wilhelm I. von Preußen, als
auf seinen Ruf Bismarck sich bei ihm meldete, sein Rücktrittsgesuch bereits
fertig vor sich liegen. Hätte Bismarck sich nicht sofort bereit erklärt, unter
allen Umständen den Kampf gegen das Parlament aufzunehmen, so wäre
der König zurückgetreten. Erinnern wir uns, wie König Wilhelm sich bei-
nahe verzweifelt sträubte; die Kaiserwürde anzunehmen. Der Gipfel der
Verdrehungen, und hier sehr bewußt, war der absichtsvolle Schlußsatz des
Kaisers, in dem er von ‚braven und tüchtigen‘‘ Ratgebern sprach, von
„Handlangern, die der Kaiser mit seinem Geist erfüllt‘ habe. Den größten
354