Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Der gewollte Eindruck — und der gemachte 
Einer der schweren Irrtümer Wilhelms II. war eben jene Art, auf die er 
der Öffentlichkeit, ‚dem Volk“, gegenübertreten zu sollen glaubte. Ab- 
gesehen von einem gewissen Bürgertyp, von Adligen und solchen Offizieren, 
die ihn am liebsten gesehen hätten, wie Ludwig XIV. von Frankreich sich ge- 
sehen wissen wollte, hatte sich doch die feierliche Majestät im Aufzuge und 
ım persönlichen Sichgeben überlebt. Das galt auch von der Pracht- und 
Glanzentfaltung. Wie Deutschland damals von Jahr zu Jahr reicher und 
auch sichtbarer Luxus steigend getrieben wurde, so wußte man ja überall, 
daß jeder bedeutendere Industrielle, jeder reiche Jude ebenso großen und 
größeren Luxus und Prachtentfaltung zeigen konnte, als der Deutsche 
Kaiser, oder in noch viel höherem Grade. Wilhelm II. irrte in dem Glauben, 
auf solche Weise zu imponieren und die Ehrfurcht vor der Majestät zu er- 
höhen. Genau das Gegenteil war der Fall: die ‚„Pracht‘‘ und die damit ver- 
bundene Absicht: als strahlender Mittelpunkt zu imponieren — mißtiel und 
verstimmte. Vielleicht wirkte beim Kaiser neben dieser Absicht noch der 
Eindruck, den in England Krönungsfeierlichkeiten, das Begräbnis der 
Königin und anderes mehr machten. Dort aber war es die Heiligung jener 
schwerfälligen, feierlichen Aufzüge durch eine lange Tradition, die auch 
heute noch das englische Volk lebendig empfindet. In Deutschland gab es so 
etwas nicht, und wenn ein preußischer König es versuchte, so fand er keinen 
Anklang und ist nie einer der besten gewesen. (serade die besten waren von 
höchster natürlicher Einfachheit und imponierten — wenn sie auch sonst 
danach waren — hierdurch, nicht zum wenigsten der von Wilhelm II. so 
demonstrativ verehrte Großvater. Hinzu kam: als Wilhelm II. zur Regie- 
rung gelangte, stand das Deutsche Reich im Zeichen der sozialen Frage und 
damit des Kampfes der Sozialdemokratie gegen Reich und Staat. Auch des- 
halb mußte der Monarch, selbst wenn ihn sein Gefühl an sich nicht dazu 
trieb und sein Geschmack auch nicht, mit dem politischen Verstande be- 
greifen, daß äußerste Einfachheit für ihn persönlich und für seine ganze Hof- 
haltung selbstverständliches Gebot zu sein hatte. Dies Prinzip mußte gelten 
gegenüber den glänzenden und kostspieligen Empfängen, die dem Kaiser 
meistens die Städte, die er besuchte, bereiteten. Hätte er sich solche Dinge 
verbeten, so würden auch die Stadtverwaltungen aufgeatmet, und die sozial- 
demokratische Agitation einen wertvollen Stoff zur Hetze nicht mehr gehabt 
haben. Wenn dies jetzt hier geschrieben wird, so ist das keine nachträgliche 
Weisheit. Seit den neunziger Jahren schon ging von allen diesen Dingen eine 
sehr nachteilige Wirkung aus. In ‚Kaiser Wilhelm II. und die Byzantiner“ 
wurde unter anderem hierzu gesagt: 
381
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.