„Der gottähnliche Nimbus des Fürsten ist verschwunden. Es entspricht
nicht mehr dem allgemeinen Gefühl — wie früher der der Untertänigkeit in
altem Sinne —, daß es in den Pflichten des Fürsten läge, so prunkvoll auf-
zutreten, wie möglich, sich mit ‚‚Königlicher‘ Pracht zu umgeben. Gerade
weil das Geld heute jedem, der den mit Recht so berühmten ‚‚Erwerbssinn“
besitzt, erreichbar ist, sieht man in ihm wohl etwas sehr Begehrenswertes,
aber kein Attribut einer ganz besonders machtvollen und an sich hervor-
ragenden Persönlichkeit. Außerdem will es scheinen, als ob das Gefühl all-
gemeiner Würde, daß Einfachheit, trotz der Möglichkeit, ihr Gegenteil zu
betätigen, höher stehe als der Prunk. Man setzt von dem vornehmen Mann
eigentlich stillschweigend voraus, daß seine geistige und moralische Bildung
groß und fein genug ist, um sich des Übermaßes im Gebrauch seiner Geld-
mittel zu enthalten. Dieses erscheint unsozial Wenn durch glänzende
Äußerlichkeiten der Weizen des Byzantiners zur Blüte gebracht wird, so
bleibt derjenige der Sozialdemokratie nicht dahinter zurück. Byzantinertum
und antimonarchische Richtung fördern einander. Ich bin keineswegs der
Ansicht, daß man sich bei allem, was man tut oder nicht tut, überlegen soll,
welche Wirkung es auf die Sozialdemokratie hat. Erkennt man aber einen
Zustand oder Brauch an und für sich als schädlich an, steht man anderer-
seits der Tatsache gegenüber, daß er auch der Sozialdemokratie Vorschub
leistet, so ist das letztere wohl erwägenswert Die sozialistischen Blätter
benutzen diese Dinge zu einer rührigen Agitation, die um so wirksamer ist,
als man direkt auf die Summen hinweisen kann, die für geschmack-, sinn-
und zwecklose, nur auf wenige Tage berechnete Veranstaltungen verwandt
werden.“
Man sieht, daß überall die im Wesen des Kaisers bestehenden Gegensätze
von ‚modernen‘ und veralteten Anschauungen, Auffassungen und Lieb-
habereien zum Ausdruck kommen. Ihn störten sie jedoch nicht, er fühlte
sich wohl in und mit ihnen, hielt sie möglicherwe’se für inneren Reichtum
und spielte sie aus, wie seine wechselnden Impulse und Veränderungen inner-
halb seiner ‚Umwelt‘ ihm effektvoll erscheinen ließen. Die Behauptung
Wilhelms II.: er habe um die Seele des Arbeiters heiß gerungen, ist un-
richtig. Ein paar Reden bedeuten kein ‚Ringen‘. In seinen, sehr spora-
dischen, Bemühungen scheiterte der Kaiser nicht zum wenigsten, weil er
die Seele des Arbeiters nicht kannte, auch nicht ihre wunden Stellen. Die
wundeste davon vielleicht war das Minderwertigkeitsgefühl: ‚nur ein
Arbeiter!“ stammend zum Teil noch aus der alten Leibeigenschaft unddann
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