Full text: Von Potsdam nach Doorn.

aber sonst meinte, oder zu glauben vorgab, daß massenhaftes Bauen von 
Kirchen ‚dem Volke die Religion wiedergeben‘ könne, so war das in bestem 
Falle ein Irrtum, in jedem Falle ein schwerer Fehler. Das ‚‚Volk‘, das man 
der Religion wieder zuwenden wollte, merkte auch diese Absicht und wurde 
entsprechend verstimmt, und hielt mit Spott nicht zurück. Zum Skandal 
wurde, in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts, der Berliner Kirchen- 
bau, als herauskam, daß das Geld für Kirchenbauten zu einem wesentlichen 
Teil durch Verkauf von Titeln und Orden hereingebracht wurde, man auch 
beide Augen zudrückte, hinsichtlich der Qualitäten der Geldgeber und der 
Methoden, durch die sie zu Geld gekommen waren. Es machte wenig aus, daß 
ein hoher Hofbeamter, dem übrigens keinerlei persönliche Eigennützigkeit 
vorgeworfen werden konnte, seine bisherige Stellung für Kirchenbau nieder- 
legen mußte. Für alle Menschen, denen es ernst mit der Sache war, bedeutete 
die Angelegenheit einen schweren Schlag, denn die religiöse Sache wurde 
schlimm diskreditiert, und der Skandal in der Presse weidlich ausgenutzt. 
Das Vorherrschen der Äußerlichkeit schlechthin, während der Regierung 
Wilhelms II., stellte sich auch auf diesem Gebiet symptomatisch in ein 
scharfes und böses Licht. Die religiös-innerliche Stellung des Kaisers war 
eine Sache für sich. An den öffentlichen und damit zweckvollen Äußerungen 
seiner religiösen Anschauungen aber kann man heute ebensowenig geschicht- 
lich vorbeigehen wie damals politisch. 
An einer anderen Stelle wurde der verschiedenen Äußerungen gedacht, in 
denen der Kaiser von der Pflicht des Soldaten, ein Christ zu sein, sprach: wer 
nicht ein guter Christ sei, sagte Wilhelm II. auch wiederholt bei anderen Ge- 
legenheiten, könne kein guter Soldat sein. Es konnte nicht fehlen, daß die 
Presse unter anderen Friedrich den Großen und Napoleon als Gegenbeweise 
anführten. Die sozialdemokratischen Zeitungen aber sagten ihren Lesern: 
der Kaiser weiß, daß Ihr alle keine Christen seid, und mit diesen seinen Reden 
behauptet er, daß Ihr schlechte Soldaten seid! 
Es kam 1904/05 der Russisch-Japanische Krieg. Die christlichen Russen 
wurden geschlagen, die nichtchristlichen Japaner siegten. Die kaiserliche 
Behauptung war also durch den Verlauf des Krieges widerlegt worden. Der 
Kaiser wußte Rat, er erklärte in öffentlicher Rede nach Beendigung des 
Krieges: man dürfe aus diesem Ausgang nicht etwa die Folgerung ziehen, 
daß Buddha stärker sei als Christus. Wenn Rußland geschlagen worden sei, 
so stellte der Kaiser bei einer Rekrutenvereidigung in Wilhelmshaven feier- 
lich fest, so liege das daran, daß es mit dem russischen Christentum sehr 
traurig bestellt sein müsse, daß die Japaner aber viele christliche Tugenden 
aufzuweisen hätten. Ein guter Christ, ein guter Soldat! Auch im deutschen 
Volk sei es schlimm bestellt mit dem Christentum, und er, der Kaiser, be- 
16 Reventlow: Von Potsdam nach Doorn 385
	        
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