Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Kaiser wurde gelobt, weil er den politischen Katholizismus, der in diesem 
Sinne zugleich polnischer antideutscher Katholizismus war, freien Lauf ließ 
und seine Führer zu hohen, einflußreichen Stellen emporhob und sie für den 
Kulturkampf des ebenso bösen wie politisch unfähigen Bismarck um Ver- 
zeihung bat. 
In Ansprachen, die der Papst Leo XIII. an Pilger hielt, nannte er Deutsch- 
land bereits ‚Germania mea‘‘. Friedrich Naumann schrieb: ‚‚Der Kaiser lobt 
die ‚edlen Herren der Kirche‘, der Papst aber lobt den Kaiser. In seiner Rede 
in Aachen 1902 sagte der Kaiser, daß ihm der Papst habe bestellen lassen: 
‚Das Land in Europa, wo noch Zucht, Ordnung und Disziplin herrsche, Re- 
spekt vor der Obrigkeit, Achtung vor der Kirche, und wo jeder Katholik un- 
gestört und frei seinem Glauben leben könne, das sei das Deutsche Reich, 
und das danke er dem Deutschen Kaiser!‘ ‘“ — Naumann bemerkt hierzu: 
„Diese kirchliche Zensur für den Nachfolger Bismarcks war selbst einigen 
katholischen Blättern zu gut, aber Generaloberst von Loe, der Vertrauens- 
mann der Kurie, hat sie dann nochmals bestätigt. Canossa ist — anders ge- 
nannt worden. Der Kaiser stellt seine Söhne dem Papst in Rom vor, der 
Reichskanzler verbeugt sich lächelnd vor jedem Bischof, es ist ein goldiges 
Wetter für die Römer.‘ Hinzuzufügen wäre, daß die Botschaft des Papstes, 
besonders deren Veröffentlichung, in richtiger politischer Berechnung auf den 
damaligen Kirchenstreit in Frankreich gemünzt war, den großen Frei- 
maurerangriff, es braucht nur an die Namen Combes, Waldeck-Rousseau, 
Andre, die Austreibung der Kongregationen erinnert zu werden. Wäre 
Leo XIII., der ein Mann von hohen Gaben war, zwanzig Jahre jünger ge- 
wesen, so würde sein außerordentlicher Einfluß auf den Kaiser, auf die 
deutsche Politik und das Leben in Deutschland überhaupt tiefe Furchen ge- 
zogen haben. Derselbe Friedrich Naumann schreibt in anderem Zusarumen- 
hang, ebenfalls in den ersten Jahren des Jahrhunderts: ‚Es gibt von Rom 
aus eine doppelte Methode katholischer Weltpolitik gegenüber Deutsch- 
land : entweder der Katholizismus zersetzt, oder er vergrößert und beherrscht 
das Reich.‘‘ Das war für jene Zeit, auch geschichtlich, richtig gesehen, und 
dann stellte er ratlos die Frage: ‚Und wo soll das alles hinaus ? Soll etwa 
doch die Geschichte des neuen Deutschen Reiches in Ultramontanismus 
enden ? Soll die Größe der Zentrumspartei, der Blick auf Österreich und die 
Angst vor den Demokraten das Kaisertum endgültig romanisieren ? Wir 
glauben es nicht, aber wir fühlen, daß es großer Anstrengungen bedürfen 
wird, um das Verhängnis abzuwenden.‘ — Naumann hatte Anfang der 
neunziger Jahre die Nationalsoziale Partei gegründet, ohne sie vorwärts- 
bringen zu können. Nach ihrer baldigen Auflösung ging dieser ehrliche, 
durchaus deutsche Mensch zur jüdisch geführten Demokratie über, die ihn 
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