modernster Art mußte zur Stelle sein. Und solche Geschichtchen und Witze
pflegten nicht auf sehr hohem Niveau zu stehen. Diese Eigenschaft des
Kaisers war um so auffallender, als seine persönliche Lebensführung und vor
allenı sein Familienleben auch der neugierigsten und böswilligsten Verleum-
dungssucht niemals den allergeringsten Anhalt geboten hat; im Gegenteil,
es herrschte über diesen Punkt vielleicht die einzige, ganz übereinstimmende
Beurteilung und kritiklose sympathische Anerkennung in allen Parteien,
Klassen und Schichten. Die Kehrseite bildete eine schonungslose, oft ver-
ständnislose Verdammung durch den Kaiser und seinen Hof aller sittlichen
Verfehlungen, als die zum Beispiel auch die Ehescheidung angesehen wurde;
hier blühte ein gewisses, mit Eifer gepflegtes Pharisäertum, zum Teil hervor-
gegangen aus einer auffallenden Unkenntnis und Verkennung der Verhält-
nisse des menschlichen Lebens und der mit diesem verbundenen unerfreu-
lichen Wirklichkeiten.
Sogar noch in den ersten Jahren seiner Regierung hat es außer allen denen,
die nur selbst steigen wollten oder für ihre politischen Ziele und Parteien den
Kaiser zu gewinnen versuchten, auch manche gegeben, die ihn tatsächlich
für eine Persönlichkeit großen Formates hielten oder glaubten, für seine
Eintwicklung in diesem Sinne zum Nutzen des Reiches beitragen zu können.
Nach wenigen Jahren schon wurde, und zwar allen Vertretern dieser Kate-
gorie klar, daß Wilhelm II. nicht derjenige war, als welcher er erscheinen
wollte, sondern das Gegenteil; daß er aber das unbezwingliche Bedürfnis
hatte, das deutsche Volk und sich selbst zu überzeugen, daß er die mäch-
tigste und hervorragendste Persönlichkeit der Erde sei und in allen Ländern
als solche anerkannt werde! Seine eigenen Reden, die ihm Taten waren,
dienten als Stärkungsmittel für sein Selbstvertrauen. Ihr Widerhall in der
byzantinischen Presse, in Reden der Byzantiner aller Kategorien und der
berufsmäßigen Schmeichler des Hofes und jener ganzen Atmosphäre ließ,
bis zu einem gewissen Zeitpunkte, den Kaiser dauernd in seinem nur allzu
willigen Glauben, daß er dem ganzen deutschen Volk, von verhältnismäßig
wenigen abgesehen, das erhabene Vorbild eines Kaisers sei, der alle Herr-
schertugenden besitze und dessen Politik in der Welt von Erfolg zu Erfolg
schreite.
Die Presse, abgesehen von der sozialdemokratischen und linksdemokra-
tischen, hat auch in dieser Richtung verheerend gewirkt: mit wie gewaltigen
Schritten ging doch alles vorwärts in Deutschland! Die Wirtschaft gedieh
von Jahr zu Jahr glänzender ‚unter dem Kaiser‘. Als ob Wilhelm II. der
Urheber dieses wirtschaftlichen Gedeihens gewesen wäre! Alles, was gedieh,
stand auf den Schultern noch immer der Leistung Bismarcks. Dem Kaiser
kam höchstens das Verdienst zu, diese Entwicklung nicht aufzuhalten,
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