Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Freund, den alten König Karl von Rumänien. Der Staatssekretär fertigte 
den Kronprinzen mit Überlegenheit ab: er kenne dieses Land und seine 
Leute wie seine Westentasche, man müsse es vom deutschen Standpunkt 
als politisch mündelsicher betrachten. Der Krieg erwies, daß der Kronprinz 
auf einem kurzen Besuch mit seinem unbefangenen Blick richtig gesehen 
hatte, der Staatssekretär — der über ein Jahrzehnt in Rumänien als Ge- 
sandter gesessen hatte — unrichtig. 
Anfang 1914 erklärte dem Verfasser ein anderer hoher Beamter des Aus- 
wärtigen Amtes, ebenfalls auf besorgte Fragen : noch am gestrigen Tage habe 
ihm ein hoher Offizier im Generalstabe gesagt: ‚Sollte einmal ein Krieg 
kommen, so schlagen wir alles kurz und klein, was sich uns auch entgegen - 
stellen mag.‘ Auf solche und ähnliche Weise ebenfalls breitete sich ein 
ebenso bequemer wie gefährlicher Optimismus aus, mit dem Schlußreim: 
„Und ım übrigen, es gibt ja doch keinen Krieg, für Deutschland arbeitet die 
Zeit, wir wollen Frieden, und sollte doch eine andere Macht so frech sein, 
so wissen wir ja, wie unser Kaiser auf der Wacht ist, und daß er sie mit blu- 
tigen Köpfen heimschicken würde.“ 
Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, einen Ausdruck für die damalige 
Stimmung der deutschen Bevölkerung zu finden, der kurz, einigermaßen 
richtig und dabei umfassend gewesen wäre. Trotz dem großen materiellen 
Gedeihen, abgesehen allein von der sich wieder sehr langsam erhebenden 
Landwirtschaft, herrschte überall Unzufriedenheit, und für diese Tatsache 
selbst kam nur zu einem Teil in Betracht, daß die Unzufriedenheit zu einem 
sehr beträchtlichen Teil von den Führern der Parteien, vor allem der Sozial- 
demokratie, für ihre jeweiligen taktischen Ziele künstlich erregt und immer 
mehr angefacht wurde. Die Tatsache allgemeiner Unzufriedenheit betonte 
auch für die letzten Jahre vor dem Weltkriege Bethmann-Hollweg, der sich 
keine Ursache dafür klarmachen konnte. Schließlich kam es darauf hinaus, 
daß man, so gut wie allgemein, das Gefühl hatte: das deutsche Volk werde 
schlecht regiert, und die Innen- und Außenpolitik des Landes werde schlecht 
geführt. Wir widersprechen uns hiermit nicht: das wiederholt erwähnte, 
nach Ruhe und Gemütlichkeit trachtende Bürgertum fühlte sich an sich 
sehr wohl wegen der allgemein steigenden Lebenshaltung, war auch sehr 
geneigt — solange irgend möglich —, die Augen zu schließen. Trotzdem aber 
trat ab und zu in diese Indifferenz hinein der Schatten einer unheimlichen 
Sorge und Zukunftsunsicherheit, sei es durch einen neuen Erfolg der Sozial- 
demokratie, oder nicht mehr zurückhaltende Erkenntnis eines neuen Miß- 
erfolges in der Außenpolitik, sei es durch unaufhörliche, plötzlich eintretende 
Ministerwechsel, oder durch aufsehenerregende Briefe und Reden des 
Kaisers. Über dieses alles spann sich bald laut, bald leise, aber nie aufhörende 
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