Möglichkeit solcher Verirrungen kaum vorstellen konnte. — In diesem Falle
hat er mir für mein Eingreifen gedankt.“
Die ‚Erinnerungen‘ des Kronprinzen wurden im Jahre 1922 veröffent-
licht, augenscheinlich hat er damals noch an Eulenburgs Schuld geglaubt.
In den ersten Anfängen hat auch der Verfasser dieses Buchs der immer
wiederholten Erklärung Hardens Glauben geschenkt, daß es ihm bei der
ganzen Angelegenheit nur darum zu tun sei, der politischen Wirksamkeit
Eulenburgs, die enorm schädlich sei, ein für allemal ein Ende zu machen. So-
bald er sicher sei, diesen Zweck erreicht zu haben, werde er schweigen und es
nicht zum Skandal kommen lassen. Diese Behauptung erwies sich schnell
als eine Lüge, und der Verfasser brach daraufhin die Beziehungen zu Harden
ab. Die Folgezeit bewies dann, daß es dem Herausgeber der Zeitschrift ‚Die
Zukunft‘ eben auf den Skandal ankam. Durch ihn wollte er in erster Linie
für sich selbst Sensation machen, zeigen, welch großen Einfluß er habe, und
wie er diesen benutzte, um das Vaterland moralisch zu retten. Eine ebenso
große Rolle spielte sein Haß gegen das Reich, gegen die Monarchie und gegen
den Kaiser persönlich; gegen ihr. hatte er seit vielen Jahren journalistisch
gearbeitet, sein Ziel war, obgleich er es nicht aussprach, die Republik.
Der Kaiser hätte in der Hand gehabt, ohne weiteres den ganzen Skandal
unterdrücken zu lassen; das wäre auch noch möglich gewesen, als der Kron-
prinz ihm die Mitteilung machte. Die Pflicht des Reichskanzlers Bülow frei-
lich war, sofort den Kaiser zu unterrichten und dann mit dessen Zustimmung
das Ganze zu ersticken. Warum er das nicht getan hat, ist einwandfrei nicht
ermittelt worden. In seinen ‚Denkwürdigkeiten‘ spricht er von Eulenburg
in ironisch-geringschätziger Weise und schließt in vorsichtiger Wendung mit
dem Hinweise, im Grunde genommen sei schließlich doch jeder von Eulen-
burgs Schuld überzeugt gewesen. Der damalige Reichskanzler hatte für seine
Laufbahn gerade dem Fürsten Eulenburg sehr viel zu danken und war lange
eng mit ihm befreundet, wie sich auch aus Briefwechseln ergibt. Möglicher-
weise hat Bülow Angst vor Holstein gehabt, der, nach freilich unbestätigten
Gerüchten, auch gegen ihn giftige Pfeile im Köcher gehabt haben soll.
Bülows gänzlich skrupellos gewählte und beschrittene Wege sind immer ver-
schlungen gewesen, und wenn er glaubte, daß es ihm irgendwie in seiner
Laufbahn nützen könne, so bedeuteten ihm Freundschaft, Treue und Wahr-
haftigkeit nichts.
Aber auch der Kaiser ließ, ohne ihn, den Freund von zwanzig Jahren, zu
sehen, zu fragen, ohne überhaupt ihm eine Gelegenheit zu persönlicher
Rechtfertigung gegeben zu haben, in den Abgrund fallen, ihm die entehrende
Aufforderung zugehen, seine Orden zurückzugeben. Daraufhin und in jener
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