Full text: Von Potsdam nach Doorn.

schen Volksgeistes waren und die Richtung erkannt hatten, in der allein eine 
gesunde deutsche Entwicklung wenigstens angebahnt werden konnte. 
Nicht ohne Interesse ist in diesem Zusammenhang der Ursprung des Be- 
griffs „liberal“: das lateinische Grundwort ‚liber‘ heißt: frei. Von ihm ab- 
geleitet ist das Wort ‚liberalis‘‘. Dieses bedeutete ursprünglich ein rein per- 
sönlich, gesellschaftlich freundliches, mit Freigebigkeit und Wohlwollen ver- 
bundenes Verhalten. Seit dem achtzehnten Jahrhundert trat zu dem Begriff 
solcher ‚‚Liberalität‘‘ der des ‚‚Aufgeklärt‘‘seins hinzu. Der Übergang des Be- 
griffs in das politische Leben vollzog sich zuerst in Spanien: Nach der Rück- 
kehr des Königs Ferdinand VII. in sein Land bildeten sich zwei Parteien. 
Für den König und die Restaurierung der alten Ständeverfassung nahmen 
die ‚„Servilen‘‘ Partei, gegen die Wiederherstellung des Alten die ‚Libe- 
ralen‘‘, also diejenigen, die den Staat freiheitlicher gestaltet und den Dritten 
Stand gleichberechtigt wissen wollten. 
Die Bedeutung des Wortes ‚‚liber‘‘ und des von ihm abgeleiteten ‚‚liberalis‘ 
istalso,im Grunde genommen, diegleiche, und im politischen Leben des neun- 
zehnten Jahrhunderts wurden sie gleichgesetzt. Im Lauf desselben Jahr- 
hunderts hat sich der Begriff des Liberalismus als überaus dehnbar er- 
wiesen, schon sein Grundgedanke: die menschliche und politische Freiheit, 
zu der später der ebenso dehnbare wie verfälschbare Begriff der wirtschaft- 
lichen Freiheit kam, erwies sich für Mißbrauch, Willkür und Verfälschung 
wie geschaffen. So ist der Begriff der Freiheit, je nach den politischen Rich- 
tungen und Zielen, beliebig ausgelegt worden. 
Wenn Dahlmann in seinem obigen Ausspruch ‚das Licht guter Ver- 
fassungen‘ für rettend und notwendig erklärte, so war das ebenso liberal 
wie vaterländisch und national, denn er, der selbst national war, verstand 
unter einer guten Verfassung eine auf nationalem Boden stehende und von 
nationalem Geist durchdrungene. Erst der Nationalsozialismus hat den poli- 
tischen Begriff der Freiheit fundamentiert und zu einem unveränderlichen 
dauernden Wert gemacht. Die Wortbildung ‚‚liberalistisch‘‘ ist ganz neu. 
Sie bedeutet die Kennzeichnung: Ablehnung aller Theorien und Praktiken 
der liberalen Lebens- und Weltanschauung, die im Gegensatz zum National- 
sozialismus stehen. 
Der Einwurf könnte gemacht werden, daß gerade der Nationalsozialismus 
als Feind des Parlamentarismus doch unmöglich jenes damalige Drängen 
nach einer Verfassung gutheißen könne. Eine solche Behauptung würde aus 
folgenden Gründen oberflächlich sein: Kabinettsregierung muß der Natio- 
nalsozialist auch rückschauend durchaus ablehnen. Kabinettsregierung und 
Führertum sind von Grund aus entgegengesetzt. Die sich in positivem Sinne 
entwickelnden Kräfte jener Zeit gingen in der Hauptsache vom Bürgertum 
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