wurden, haben wir uns im Vergleich mit dem tatsächlichen Verlauf des
9. November 1918 zu beschäftigen:
„Den Bürgerkrieg wollte ich meinem Volke ersparen. Falls meine Ab-
dankung tatsächlich das einzige Mittel war, um Blutvergießen zu ver-
hindern, so wollte ich der Kaiserwürde entsagen, nicht aber als König von
Preußen abdanken, sondern als solcher bei der Truppe bleiben. Denn die
militärischen Führer hatten erklärt, die Offiziere würden im Falle meiner
völligen Abdankung in Massen abgehen, und das Heer würde dann führerlos
auf das Vaterland zurückströmen und es schädigen und gefährden. Dem
Reichskanzler war erwidert worden, mein Entschluß müsse erst reiflich er-
wogen und formuliert werden. Kurz darauf kam aus Berlin die Nachricht,
es sei zu spät.“
Hierdurch war, wie der Kaiser schreibt, eine schwere Lage entstanden,
und die Oberste Heeresleitung habe gemeint, nicht mehr auf die Zuverlässig-
keit derjenigen Truppen rechnen zu können, die zum Schutz des kaiserlichen
Hauptquartiers auf dem Marsch waren. ‚Daher empfahlen mir meine sämt-
lichen Berater, das Heer zu verlassen, um einen neutralen Staat aufzusuchen
und einen solchen Bürgerkrieg zu vermeiden.‘‘
Es soll nicht bestritten werden, daß die Berliner Falschmeldung von der
Abdankung des Kaisers und Königs und dem Verzicht des Kronprinzen die
an sich schon schwere Lage noch schwerer machte und ihre Bewältigung
noch schwieriger sich gestaltete. Die Lage war gleichwohl nicht so, daß es
bei Vorhandensein eines entsprechenden Willens nicht möglich gewesen
wäre, sie zugunsten der Sache des Kaisers und der Monarchie zu ändern.
Das Berliner Telegramm: es sei zu spät!, brauchte kein Abschluß zu sein,
brauchte auch nicht als ein Befehl oder eine unabänderliche, zwingende Tat-
sache auf- und angenommen werden, der man sich eben schweigend zu fügen
habe. Eben vorher hatte die Berliner Regierung mit ihrer ersten Depesche
von der Abdankung zweckvoll gelogen. Warum sollte denn ihre Behaup-
tung: es sei zu spät!, nicht auch gelogen sein ? — Genug, man hat im kaiser-
lichen Hauptquartier nichts versucht und ist anscheinend, zu einem großen
Teil stillschweigend, dahin einig gewesen, daß der einzige Ausweg im Über-
tritt des Kaisers nach Holland zu finden sei. Der dafür bestimmte Eisen-
bahnzug stand am Nachmittag des 9. November fahrtbereit da, und man
brachte das Gepäck des Kaisers hinein.
Am Frühnachmittag des 9. November fand die entscheidende Unter-
redung mit den Ratgebern des Kaisers, der zusammengerufenen, im Augen-
blick erreichbaren Generale, statt. Diese, an der Spitze der Nachfolger
Ludendorffs, der demokratische General Groener, erklärten, die Truppen
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