Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Wenige Tage nach dem 9. November 1918, nach dem Verschwinden aller 
Fürsten, schrieb der Verfasser in der konservativen und monarchischen 
„Deutschen Tageszeitung‘ — der konservativen Partei gehörte er nicht an, 
sondern der deutschsozialen — einen Aufsatz, der die folgenden Sätze 
enthielt: 
„Heute ist die Monarchie verschwunden, in der früher der nationale Ge- 
danke und seine Vertreter natürlichen Halt und Mittelpunkt und Träger zu 
erblicken glaubten und die — vergeblich — versuchten, sich um sie zu 
sammeln. Verschwunden ist die Monarchie, weil die Träger der Monarchie 
sich als persönlich schwach und unfähig erwiesen, und zwar nicht erst wäh- 
rend des Krieges. Der nationale Geist und Gedanke braucht also nicht zu 
verzweifeln und muß sich auf sich selbst besinnen. Die Träger der Monarchie 
sind nicht das gewesen, wofür er sie gehalten hat, sie waren nicht mehr die 
Führer, die sie hätten sein müssen. 
Gerade in diesen Zusammenhängen muß auch ausgesprochen werden, daß 
der nationale Geist in seinem tiefen Gehalt und in seiner maßgebenden Be- 
deutung für das ganze Volk von den bisherigen Trägern des monarchischen 
Systems nicht verstanden worden ist. Sie standen dem ablehnend, 
teils mit Widerwillen, gegenüber, und diese Erkenntnis der 
Zusammengehörigkeit des nationalen und des sozialen Ge- 
dankens lag ihnen vollkommen fern.“ 
Diese — sozusagen auf frischer Tat ausgesprochene — Beurteilung kann 
auch heute noch als für die damalige Zeit richtig gelten. Verurteilt wurde sie 
jedoch von der konservativen Partei, dem Aufsichtsrat des Blattes und dem 
Reichslandbund: Der Aufsatz des Verfassers wurde durch einen Gegen- 
aufsatz im selben Blatte desavouiert, man war der Ansicht, daß er grund- 
sätzlich und taktisch zu verwerfen sei, besonders die Betonung des sozialen 
Gedankens in Verbindung mit dem nationalen erregte Unwillen. 
Unbegreiflich, aber Tatsache war, daß die monarchischen Führer und 
Organisatioren überzeugt waren, es könne nur eine Frage sehr kurzer Zeit 
sein, bis die Monarchie wiederhergestellt werde. Ungesäumt müsse mit der 
Propaganda begonnen werden. Man begriff nicht, ja man dachte überhaupt 
nicht daran, daß Monarchen, daß Dynastien, die in so unrühmlicher Weise 
und unter uneingeschränktem Verzicht verschwunden sind, nicht wieder 
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