Full text: Von Potsdam nach Doorn.

aufgerichtet werden können, wie umgefallene Stühle. Man begriff auch nicht, 
daß ein System, dessen Inhaber und Repräsentant in alleın versagt hatte, 
gerade als von seiner Bewährung alles abhing und auf ihn alles ankam — 
in alter Form und mit altem Inhalt nie wiederkommen konnte. Schließlich 
begriff man nicht, vielleicht wegen eigener Mitschuld, worin die grund- 
stürzenden Fehler und Mängel des Systems und seiner Repräsentanten be- 
standen hatten. 
Die naivsten Illusionen konnten nicht sterben: so könne es doch nicht 
weitergehen!, ‚im Grunde“ sei das deutsche Volk doch monarchisch bis auf 
die Knochen, bald werde es seinen Kaiser und König zurückrufen, auch die 
Feinde müßten einsehen, daß ein republikanisches Deutschland eine Un- 
möglichkeit sei — kurz, der Tag werde kommen, da der schwergeprüfte 
Kaiser wieder mit seinem Volke verbunden sein werde. Das war auch der 
mehr oder minder ausgesprochene politische Gedanke in der Partei, die sich 
Deutschnationale Volkspartei nannte. 
Was der 9. November 1918 in Deutschland alles an nationalen Werten 
vernichtet und an Unwerten gezeugt und enthüllt hatte, und daß die Funda- 
mente des bisherigen Zustandes. mit Notwendigkeit und deshalb mit Recht 
zusammenbrechen mußten, weil sie faul waren, das ist wohl auch nachher 
nicht jenen Aufrechterhaltern der ‚‚staatlichen Ordnung‘ und den Schützern 
von Thron und Altar klargeworden. 
Die Tatsache allein, daß ein Mensch der ihm obliegenden Aufgabe, trotz 
gutem Willen, nicht gewachsen ist, kann nienianden berechtigen, ihn auch 
nur im geringsten zu tadeln, ihm aus seinem Unvermögen einen Vorwurf zu 
machen. Scheitert er an seiner Aufgabe, so ist es persönlich traurig; man 
wird ihm aufrichtiges Mitgefühl nicht versagen. Das gilt auch für Wil- 
helm II. Ebensowenig wird dem Kaiser, das wurde wiederholt ausgesprochen, 
bestritten, das Beste gewollt zu haben; wir bemerkten dazu, daß der gute 
Wille wohl keinem der Fürsten und Monarchen neuerer Zeit abgesprochen 
werden könne. Das ist aber auch alles. 
Im Laufe der vergangenen Jahre ist auch nicht ganz selten versucht 
worden, von einer „Tragik‘‘ des Untergangs des Kaisers und der Monarchie 
zu sprechen und ihn selbst eine tragische Persönlichkeit zu nennen und als 
solche zu verherrlichen. Wir verstehen unter einer tragischen Persönlichkeit 
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