Full text: Von Potsdam nach Doorn.

deutung in ganz Europa. Es grenzt an das Unglaubliche, welchen Einfluß 
dieser charakterlose, dabei geistig bedeutende und höchst gewandte Mann 
seit, hauptsächlich, dem Wiener Kongreß ausgeübt hat. 
Um dieselbe Zeit kamen drei Brüder Follenius — Hessen war ihre Heimat 
— nach Jena und erlangten dort sehr schnell durch ihren revolutionären 
Fanatismus erheblichen Einfluß. Es wurden Geheimbünde gegründet, der 
der ‚Schwarzen Brüder‘‘ und andere. 
Die talentvollen und leidenschaftlichen Brüder Follenius waren von den 
alten Schlagworten der Französischen Revolution erfüllt, und der von ihnen 
beherrschte Kreis junger fanatisierter Leute gelangte zur Ansicht, daß der 
Fürstenmord das einzige Mittel sei, um der Freiheit und dem Glück des deut- 
schen Volkes die Bahn zu brechen. Auch der beste Monarch sei ein Tyrann 
und Verbrecher. Und nicht allein die Fürsten müsse man so beseitigen, son- 
dern auch andere schädliche Persönlichkeiten. Der Beginn der Verfolgung 
der Burschenschaften steigerte den Fanatismus dieser Kreise. 
Aus dieser Stimmung heraus erfolgte dann die Ermordung des Dichters 
Kotzebue durch den jungen Studenten der Theologie Karl Ludwig Sand im 
Frühjahr 1819. Kotzebues boshafte Verhöhnung der Studenten, insbesondere 
der Burschenschaft, hatte Sand mit solcher Empörung erfüllt, ihn so in. 
seinem deutschen Ideal gekränkt, daß er den Entschluß faßte, Kotzebue zu 
töten. Nachdem er sich lange auf den Anschlag vorbereitet hatte, ging er mit 
einem selbstgeschliffenen Dolch in Kotzebues Haus, trat ihm dort entgegen 
und erstach ihn. Sein sofortiger Versuch, sich selbst zu erstechen, mißlang, 
er versetzte sich nur eine schwere Wunde. Ein Jahr nachher wurde er durch 
das Schwert hingerichtet und starb in voller seelischer Sammlung und Ruhe. 
An seiner Tat haftete nichts Persönliches; es war allein sein tiefgekränkter 
Idealismus, der ihn zu der Tat gebracht hatte. Neben dem großen Aufsehen, 
das die Tat erregte, war charakteristisch für die Atmosphäre jener Zeit: die 
tiefe Sympathie, die besonders in der Bevölkerung der Gegend für Sand 
Platz griff. Man verehrte ihn wie einen Heiligen und baute eine Art Museum 
aus seinen Sachen, und wie ein Heiligtum wurde der Stuhl bewahrt, auf dem 
Sand zuletzt gesessen hatte. Noch heute gibt es das ‚‚Sand-Häuschen“ dicht 
bei Heidelberg, das der Scharfrichter aus den Brettern des Schafotts, auf 
dem Sand hingerichtet wurde, zusammengebaut hatte. Auch in der gebil- 
deten Bevölkerung waren die Sympathien groß. Ein Theologieprofessor aus 
Halle schrieb an die Mutter Sands: gewiß sei die Tat beklagenswert an sich, 
jedoch in ihren letzten Gesinnungen ein schönes Zeichen der Zeit. Die Be- 
völkerung war außer sich über die Vollstreckung der Hinrichtung gegen 
diesen ganz jungen Menschen, der doch nur das Gute gewollt habe. 
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