Zeitgenössische Berichte haben die Zahl der Teilnehmer an diesem Fest
auf 30 000 bis 60 000 Menschen geschätzt; auf alle Fälle war der Besuch ein
für die damalige Zeit außerordentlich großer. Der Verlauf der Feier selbst
zeigte — im Vergleich zum Reformationsfest der Burschenschaft und ihren
sonstigen Veranstaltungen -— einen auffallenden Unterschied nach der
revolutionären Seite und ein Eindringen fremder Elemente:
Es war keine Kundgebung, noch ein Fest der Studentenschaft, wie 1817
das Reformationsfest auf der Wartburg. Vielmehr wurde das Hambacher
Fest zwar auch von Studenten, hauptsächlich früheren Mitgliedern der
Burschenschaft, beschickt, die sich inzwischen iu liberale Bürger verwandelt
hatten. Überhaupt, was an Jugend und jüngerem Mannesalter vorhanden
war, die Feier mitmachte, wies eine Politisierung auf, die zehn Jahre vorher
auf der Wartburg nicht vorhanden gewesen war. Dort herrschte nur der Ge-
danke: einiges Deutschland! Auf dem Hambacher Schloß dagegen ging es
um innerpolitischen Kampf als Hauptobjekt. Zwei Ereignisse
gaben dem Hambacher Fest ein besonderes Gepräge: der damalige geschei-
terte polnische Aufstand gegen Rußland und die Pariser Julirevolution.
Der niedergeschlagene polnische Aufstand in Rußlend hatte besonders
in der deutschen Bevölkerung tiefe Bewegung und Empörung hervorgerufen.
Die polnische Erhebung schien ihr ein Musterbeispiel des Kampfes für die
Freiheit schlechthin; denn den Anlaß hatte der Entschluß des russischen
Zaren Nikolaus des Ersten gebildet, das Königtum in dem seinerzeit Ruß-
land überlassenen Teil Polens für sich in Anspruch zu nehmen.
Die Erregung in Deutschland war um so größer wegen der polnischen Ge-
biete, die bei den Teilungen Polens an Preußen gefallen waren. So lag an-
dererseits für Preußen, das, besonders in Süddeutschland, gehaßte, reaktio-
näre Preußen, die sehr reale politische Gefahr vor, daß der Aufstand auch
auf die preußischen Polen übergreife. Ein Lebensinteresse Preußens lag vor.
So mußte das preußische Verhalten in schärfstem Gegensatz stehen und auf-
treten zu der erbitterten Begeisterung eines großen Teiles der deutschen Be-
völkerung für den polnischen Freiheitskampf.
Die Pariser Julirevolution lieferte die Ergänzung von der anderen Seite.
Sie erschien besonders der süddeutschen Bevölkerung als der beispielhafte
Kampf eines Volkes, das sich selbst regieren und von keiner Königsherr-
schaft mehr wissen wolle. Über die geheimen freimaurerischen Ursprünge
der Julirevolution waren nur wenige unterrichtet.
Als dritter Faktor ist zu nennen die im neunzehnten Jahrhundert als
typisch deutsch hervortretende Eigenschaft, sich für äußere und innere
Kämpfe fremder Nationen zu begeistern und Partei zu nehmen, ohne dabei
an die Interessen des eigenen Volkes und Vaterlandes zu denken. Da waren
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