Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Wenn der König von der berühmten Denkschrift Gneisenaus sagte: sie sei 
als Poesie gut, aber sonst nicht zu verwerten, so war das typisch für seine 
Persönlichkeit: nicht die kühle Skepsis eines nüchtern rechnenden Mannes, 
sondern das Bewußtsein der eigenen Unsicherheit, des Fehlens des Ver- 
trauens zum eigenen Urteil und der fehlenden Schwungkraft. 
Von allen Seiten getrieben erst — schritt er 1813 zum Kriege. Als dann 
das Faktum da war, nahm er es aber auch ganz und ohne Schwächlichkeit, 
zu jedem Opfer bereit, hin. 
Als ein folgenschwerer Mangel in seiner langen Regierung wird — trotz 
aller Ursachen und Gründe, die sich persönlich und politisch dafür anführen 
ließen — verzeichnet, daß der König jenem nationaldeutschen Drängen kein 
Verständnis entgegenbrachte und das Metternich-System nicht etwa mit 
dem inneren Vorbehalt annahm, unter Umständen auch nach dem eigenen 
Ermessen zu verfahren, sondern sich ihm und damit dem Fürsten Metter- 
nich in den zweieinhalb Jahrzehnten von 1815 bis 1840 untergeordnet hat, 
entgegen seinem Motto: „Immer mit Österreich, nie unter Österreich!“ In- 
dem der König sich dem Fürst-Metternichschen Europa-System unter- 
ordnete, ordnete er sich auch Österreich unter, und das ist schließlich ver- 
hängnisvoll geworden im Jahre 1848 für seinen Nachfolger, sein Volk und 
den Staat. 
Wirtschaftlich dagegen fand der König die Festigkeit und den Entschluß, 
den Zollverein verwirklichen zu lassen und damit ein lange nicht bekanntes 
wirtschaftliches Gedeihen für Preußen und die anderen Staaten des Preußi- 
schen Zollvereins heraufzuführen. 
Ein Fehler, aber folgerichtig aus seiner Unterwerfung unter Metternich 
hervorgehend, war, daß Friedrich Wilhelm die 1815 angekündigte Ver- 
fassung nicht wenigstens in Angriff genommen hat. Auch in seinen letzten 
Jahren blieb er taub gegen Warnungen und Mahnungen, sogar gegen die des 
Generals von Boyen, der ihm sagte, es handele sich darum, ob der König mit 
der Ausgestaltung des Staates aus eigener Initiative beginne oder sich nach- 
her dazu zwingen lassen wolle. Der König tat noch mehr: durch einen Testa- 
mentsentwurf übte er nach seinem Tode noch einen solchen moralischen 
Druck auf seinen schwachen Nachfolger aus, daß dieser, sich auch dadurch in 
seinem subjektiv echten Gottesgnadentum gestützt fühlend, nichts tat. 
General von Boyen hatte in seiner Denkschrift auch sonst das Problem klar 
genug gezeichnet: ‚Das Ziel ist das mutige Erhalten und zeitgemäße Auf- 
bauen der vaterländischen Einrichtungen. Dies ist die von der göttlichen 
Vorsehung Ew. Majestät zugewiesene Aufgabe.‘ — 1815 hatte der König, 
wohl unter dem tiefen Eindruck der kriegerischen Leistung und der persön- 
lichen Aufopferung seines Volkes im Felde und in‘ der Heimat, die Ver- 
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