Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Einung begriffen, zum Teil auch die Unaufhaltsamkeit dieser Strömung in 
sich selbst gespürt. Der Bundesgedanke war ihnen geläufig. Während der un- 
rühmlichen Jahrzehnte des ‚Deutschen Bundes‘ hatte man, nicht eben so, 
wie bis zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, 
aber ähnlich, das alte habsburgische Kaiserhaus anerkannt und als über- 
geordnet angesehen, aus traditionellem, im übrigen perversem Respekt vor 
der Kaiserwürde an sich und als einzige Großmacht unter den deutschen 
Staaten. Der Gedanke einer preußischen Großmacht war den meisten un- 
sympathisch, die Preußen waren unbeliebt, und man empfand Furcht im 
Gedanken an eine preußische Großmachtstellung in Deutschland. In den 
sechziger Jahren noch erklärte ein Sprecher im preußischen Parlament: 
Preußen müsse der Großmachtkitzel ausgetrieben werden. Die beiden Kriege 
und Siege seit 1864 beseitigten alle derartigen Befürchtungen, Widerstände 
und Hoffnungen. Preußen war nun Großmacht und unter den deutschen 
Staaten — Österreich war ja ausgeschieden — die anerkannte Groß- und 
Vormacht in Deutschland, Großmacht auch unter den Großmächten Euro- 
pas. An diesen Tatsachen war nicht mehr zu deuteln und nichts mehr zu 
ändern. 
Mit den Regierungen und — wo solche waren — Parlamentsmehrheiten 
der einzelnen deutschen Staaten war Bismarck 1870/71 verhältnismäßig 
rasch einig geworden und mit den meisten Fürsten auch. Auch die Reichs- 
verfassung war fertig: „einen ewigen Bund‘ schlossen die deutschen Fürsten. 
An der Spitze dieses Bundes sollte als ‚‚,Bundespräsidium‘ der König von 
Preußen stehen, und zwar mit außerordentlichen Befugnissen und Vor- 
rechten, in erster Linie: Entscheidung über Krieg und Frieden, unbeschränk- 
ter Oberbefehl über die Wehrmacht im Kriege. 
Der König von Preußen aber war nicht der einzige König in Deutschland, 
sondern außer ihm der Herrscher des größten deutschen Staates nach Preu- 
Ben, der König von Bayern und die Könige von Sachsen und Württemberg— 
„alle angestammte‘“ Fürsten ihrer Länder, alle, selbstverständlich, von 
Gottes Gnaden. Es erschien unmöglich, jedenfalls als eine tiefe Bitterkeit 
erzeugendes Verlangen, daß diese Könige von Gottes Gnaden sich dem preu- 
Bischen König unterwerfen sollten. Bismarck erkannte die Schwierigkeitund 
ihr Wesen und war entschlossen, sie ohne Fürstenstreit zu beseitigen: 
Ohne Wissen König Wilhelms ließ er von Versailles durch eine vertrauens- 
würdige bayrische Persönlichkeit ein Schreiben an König Ludwig den 
Zweiten persönlich überbringen. Dieses Schreiben war ein Entwurf für einen 
Brief, den König Ludwig, nach Bismarcks Bitte,’ an König Wilhelm schreiben 
und schicken sollte. Jene bayrische Persönlichkeit, Graf Holnstein, hatte den 
Auftrag, nachdem der König den Entwurf eigenhändig abgeschrieben und 
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