Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Mit ganz vereinzelten Ausnahmen waren diese Fürsten in ihren Ländern 
nicht isolierte finstere Tyrannen; sondern eine gewisse überkommene An- 
hänglichkeit war auch — abgesehen von der sogenannten Hofgesellschaft 
und vom Adel — in der Bevölkerung für den Fürsten vorhanden. Es war der 
alte deutsche Trieb zur Sonderung, wie sich Bismarck ausdrückte, der an 
den Dynastien seine Kristalle ansetzte. Philistertum und Spießbürgertum 
waren stolz, ihren eigenen Hof und ihre eigene Fürstenfamilie zu haben — 
diese „Ruhe und Ordnung‘ ihren Gemütsbedürfnissen entsprechend. Wie 
sehr dies auf Überlieferung beruhte, zeigt sich an dem Beispiel Schleswig- 
Holsteins: Schleswig-Holstein hatte keine dynastischen Überlieferungen, 
und als die Zeit der Befreiung von Dänemark kam, war es weniger die Sehn- 
sucht nach einem eigenen Fürsten als die nach Unabhängigkeit nach allen 
Seiten, unter einem — wenn es nun doch einmal ohne Fürsten nicht ging — 
liberalen Fürsten. Ein wohl nicht ganz kleiner Kreis von Schleswig-Hol- 
steinern aber war der Ansicht, daß schließlich das in Kopenhagen vor- 
handene ‚Europäertum‘‘ vorzuziehen sein würde. Eben den in ihrer Art 
durchaus nicht revolutionär gearteten Schleswig-Holsteinern wäre auch eine 
Republik ebenso lieb und ebenso angemessen gewesen wie beispielsweise für 
Hamburg, Bremen und Lübeck. Etwas anderes war es auch für die Bevölke- 
rung dieses Landes mit dem nationaldeutschen Gedanken. Als Deutsche, wie 
sie sich immer gefühlt hatten, wollten sie auch ausgesprochenes Glied des 
geeinten Deutschen Reiches werden, das sie ersehnten. Sie wollten sich frei 
anschließen an das Große und mußten deshalb im übrigen Deutschland zu 
einem sehr großen Teil als liberal und demokratisch gelten, eine Gesinnung, 
der sie im eigentlichen Sinne jenes Begriffs fernstanden. 
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Friedrich Wilhelm der Vierte war dem deutschen Gedanken keineswegs 
abgeneigt. Geistvoll, tief, vielseitig und reich gebildet, beweglichen, allzu be- 
weglichen Geistes, voll von romantischen Gedanken und Ideen, wie er war, 
wirkte der Gedanke einer Erneuerung des deutschen Kaisertums im Zeichen 
allgemeiner deutscher Einheit auf ihn begeisternd. Ebenso konnte er sich 
auch für die Ehrwürdigkeit der zahlreichen Dynastien in Deutschland be- 
geistern, eben für die Heiligkeit der Tradition und die Legitimität der ‚an- 
gestammten‘ Fürstenhäuser. 
In hingebendem Freundschaftsbedürfnis schwärmte Friedrich Wilhelm 
nicht allein für England und sein Königshaus, sondern auch für die freie 
parlamentarische Verfassung der Engländer. Mit Ehrfurcht und Bewunde- 
rung sah Friedrich Wilhelm auf zu seinem Schwager, dem Zaren Nikolaus 
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