Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Gedanke kam, nun müsse oder könne alles anders und ‚‚neu‘‘ werden; über- 
haupt: die Vorzüge dieser Monarchie waren sehr große. 
Stetigkeit auf allen Gebieten des Staatslebens ist von unberechenbarem 
Wert; für den jeweiligen Monarchen schon deshalb, weil er bei Antritt seiner 
Regierung und Herrschaft ein gewisses Kapital an Vertrauen seines Volkes 
schon aus der Tradition als vorhanden annehmen konnte; auch deshalb, 
weil wie bei Friedrich Wilhelm dem Vierten dem Thronfolger beinahe immer 
große Hoffnungen auf Neuordnung veralteter Verhältnisse, auf einen 
„frischen Zug‘ entgegengebracht werden. So war es auch bei Friedrich dem 
Großen gewesen, so bei Friedrich Wilhelm dem Zweiten und danach bei 
seinem Sohn. Das ist ein natürlicher Vorgang, besonders, wenn Herrscher 
sehr lange regieren und bei diesen, wie ebenfalls der Natur gemäß, sich 
zeigt, daß sie — von einem gewissen Punkte ihrer Regierungszeit und ihres 
Alters an — die Entwicklung, die jeweilig mit jeder entsprechenden Gene- 
ration heraufzieht und drängt, nicht verstehen, nicht mehr mitleben 
können und deshalb sie hemmen. 
Die Metternich-Zeit sollte dem Grundsatz der Legitimität Heiligkeit und 
Ewigkeitsgeltung geben und hat nach der Gegenseite gewirkt, weil ihren 
Vertretern der Sinn für Grundkräfte und Grundrichtung der Entwicklung 
fehlte. 
Es ist nicht das Verdienst Friedrich Wilhelms des Vierten gewesen, daß 
1848 die preußische Monarchie erhalten blieb. Daß sie aber erhalten blieb, 
war ein Zeichen der Kraft, die ihr in Preußen innewohnte, und ein Beweis, 
daß im preußischen Volk kein Umsturzgeist vorhanden war. Welche Er- 
schütterung der monarchische Gedanke in Preußen 1848 aber erhalten hatte, 
sollte das nächste halbe Jahrhundert zeigen. Die äußere Autorität freilich 
warin Preußen bald wiederhergestellt unter einem starken Ministerium. Es 
trat die Reaktion der politischen Rechten auf die vorhergegangene Aktion 
der revolutionierenden Demokratie ein. 
Nachdem dieser Zusammenhang längst vergessen und der Sinn des Wortes 
„BReaktion‘ aus ihm entschwunden war, blieb das Wort als solches gleich- 
wohl im politischen Sprachgebrauch und sollte alles bezeichnen, was über- 
altert ist und Interessenpolitik der höheren Schichten und Klassen bedeutete. 
Nach 1848 lautete die Parole auf der einen Seite: Gegen die Reaktion, gegen 
„rechts“, für die Freiheit (!); worunter fortschreitende Erweiterung der 
parlamentarischen Befugnisse zu verstehen war. Als Vorbild betrachtete man 
die englische Verfassung. In Süddeutschland lebte man zum Teil relativ zu- 
frieden mit den vorhandenen Verfassungen ; die dortigen Radikalen spielten 
mit 1789er Idealen. 
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