Object: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Zweiter Band (L-Z). (2)

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wesentlich nur als ein Ausfluß und Zubehör 
der Gemeindeangehörigkeit ange- 
sehen, und folgerichtig wurden die Vorschriften 
über dessen Erwerb und Verlust lediglich in die 
Gemeinde= oder Heimatsgesetzgebung verwiesen. 
Die Gesetzgebung der überwiegenden Mehrzahl 
der Staaten des Norddeutschen Bundes, ins- 
besondere auch das obengenannte preuß. G. vom 
31. Dez. 1842, hatte sich dagegen den Gesichts- 
punkt zu eigen gemacht, daß der Staat die 
Entscheidung über die Aufnahme in seinen Ver- 
band nicht einem untergeordneten Gebiete des 
Staatsorganismus, der Einzelgemeinde, über- 
lassen dürfe. Diese Verschiedenheit der Gesetz- 
gebung machte sich um so nachteiliger geltend, 
als nach der Errichtung des Norddeutschen Bundes 
gemäß Art. 3 der Bundesverfassung die Bundes- 
angehörigkeit kein unmittelbares und selbständiges 
Rechtsverhältnis war, sondern die S. in einem 
Bundesstaate zur Grundlage und Voraussetzung 
hatte. Infolgedessen war für die Formen und 
Bedingungen, unter welchen die Erwerbung 
und der Verlust der Bundesangehörigkeit statt- 
fand, eine territoriale Gesetzgebung maßgebend, 
in welcher nicht nur zwischen den verschiedenen 
Bundesstaaten, sondern auch innerhalb der 
einzelnen Landesteile desselben Bundesstaates 
mannigfache Abweichungen bestanden. Die 
Verknüpfung der Bundesangehörigkeit mit der 
S. erforderte daher gebieterisch für beide die 
Einführung übereinstimmender Normen im gan- 
zen Bundesgebiete. Die verfassungsmäßige 
Möglichkeit hierzu war durch Art. 4 der Bundes- 
verfassung gegeben, welcher die Bestimmungen 
über Staatsbürgerrecht unter dieienigen Gegen- 
stände gestellt hat, welche der Beaufsichtigung 
und Gesetzgebung des Bundes unterliegen. 
Diese Regelung ist erfolgt durch das G. über 
die Erwerbung und den Verlust 
der Bundes= und S. vom 1. Juni 
1870 (Bl. 355), welches nach Errichtung 
des Deutschen Reiches auf das gesamte Gebiet 
des Reiches, durch G. vom 8. Jan. 1873 (RG# Bl. 
51) auch auf Elsaß-Lothringen und durch Kais. 
V. vom 22. März 1891 (RöBl. 21) auf Helgo- 
land ausgedehnt worden ist. 
II. Erwerb und Verlust der S. An 
der Spitze des G. vom 1. Juni 1870 ist zunächst 
wieder der verfassungsmäßige Grundsatz zum 
Ausdruck gebracht, daß die Reichsangehörigkeit 
durch die S. in einem Bundesstaate erworben 
wird und mit deren Verlust erlischt (§ 1). Über 
die Erwerbung und den Verlust der S. wird 
sodann unter Berücksichtigung der durch Art. 41 
EcG#B#. herbeigeführten Anderungen das fol- 
gende bestimmt: 
A. Erwerbung der S. Die S. wird 
erworben: 1. Mittelbare Erwerbung durch 
Abstammung, Legitimation oder 
Verheiratung. Durch die Geburt, auch 
wenn sie im Auslande erfolgt, erwerben eheliche 
Kinder eines Deutschen die S. des Vaters, un- 
eheliche Kinder einer Deutschen die S. der 
Mutter (§ 3). Durch Legitimation eines un- 
ehelichen Kindes seitens eines Deutschen erwirbt 
das Kind die S. des Vaters (§ 4). Die Adoption 
(s. Annahme an Kindes Statt) hat 
diese Wirkung nicht. Die Verheiratung mit 
einem Deutschen begründet für die Ehefrau die 
  
Staatsangehörigkeit 
Staatsangehörigkeit des Mannes (§ 5). 2. Un- 
mittelbare Erwerbung durch Berlei- 
hung. Die Verleihung der Staatsangehörig- 
keit wird Aufnahme genannt, wenn es sich 
um einen Deutschen, und Naturalisation,, 
wenn es sich um einen Ausländer handelt. Sie 
erfolgt durch die Aushändigung einer Aufnahme- 
oder Naturalisationsurkunde, welche in Preußen 
von dem Regierungspräsidenten (in Berlin dem 
Polizeipräsidenten) ausgestellt wird (St Ang G. 
§§ 2, 6, 10; 38G. §& 155; L WG. 8§ 41). ie 
Aufnahme= bezw. Naturalisationsurkunde ist ein 
Formalakt, welcher durch die Aushändigung 
perfekt wird und nur in Ausnahmefällen die 
Wirksamkeit verliert, u. a. wenn die Urkunde 
durch Vorspiegelung falscher Tatsachen er- 
schlichen ist (OV G. 55, 234). a) Die Auf- 
nahmeurkunde muß nach §S 7 a. a. O. 
jedem Angehörigen eines anderen Bundesstaates 
erteilt werden, welcher sie nachsucht und nach- 
weist, daß er sich in dem Bundesstaate, in welchem 
er die Aufnahme nachsucht, niedergelassen hat, 
sofern kein Grund vorliegt, welcher nach den 
§§ 2—5 Freizüg G. die Abweisung eines Neuan- 
ziehenden oder die Versagung der Fortsetzung 
des Aufenthalts rechtfertigt, b) Die Natu- 
ralisationsurkunde darf nach 8§ 8 
a. a. O. Ausländern nur dann erteilt werden, 
wenn sie 1. nach den Gesetzen ihrer bisherigen 
Heimat dispositionsfähig sind, es sei denn, daß 
der Mangel der Dispositionsfähigkeit durch die 
Zustimmung des Vaters, des Vormundes oder 
Kurators des zu Naturalisierenden ergänzt wird; 
2. einen unbescholtenen Lebenswandel geführt 
haben; 3. an dem Orte, wo sie sich niederlassen 
wollen, eine eigene Wohnung oder ein Unter- 
kommen finden; 4. an diesem Orte nach den 
daselbst bestehenden Verhältnissen sich und ihre 
Angehörigen zu ernähren imstande sind. Über 
die Erfordernisse zu Nr. 2, 3 u. 4 ist zuvor die 
Gemeinde, bzw. der AV. derjenigen Orte, wo 
der Aufzunehmende sich niederlassen will, mit 
ihrer Erklärung zu hören. Über die Stelle, 
welche die Erklärung abgegeben hat, s. Erl. vom 
4. März 1911 (Ml. 93). Hat der Nachsuchende 
sich früher schon in einem anderen Bundesstaate 
aufgehalten, so soll die Entscheidung nicht eher 
getroffen werden, als bis den Behörden dieses 
Bundesstaates Gelegenheit zur Äußerung ge- 
geben ist (BRBeschl. vom 22. Jan. 1891 — 
Ml. 171). Die Dispositionsfähigkeit und die 
Möglichkeit ihrer Ergänzung ist nach dem Rechte 
des Heimatsstaates des Nachsuchenden zu be- 
urteilen. Unter Niederlassung ist die Begründung 
eines Wohnsitzes (Domizils) im Gegensatz zum 
bloßen Aufenthalt zu verstehen. Zur Begründung 
des Naturalisationsgesuches wird in der Regel 
die zuvorige Niederlassung, jedenfalls aber die 
ernste Absicht des Gesuchstellers gefordert, sich 
dauernd im Inlande aufzuhalten und daselbst 
einen neuen Wohnsitz zu begründen. Die Ver- 
leihung der Staatsangehörigkeit erstreckt sich 
nach § 11 in der Fassung des Art. 41 EG- 
BG. zugleich auf die Ehefrau und diejenigen 
minderjährigen Kinder, deren gesetzliche Ver- 
tretung dem Ausgenommenen oder Naturali- 
sierten kraft elterlicher Gewalt zusteht. Aus- 
genommen sind Töchter, die verheiratet sind, 
oder verheiratet gewesen sind. Da von diesem
	        
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