576
wesentlich nur als ein Ausfluß und Zubehör
der Gemeindeangehörigkeit ange-
sehen, und folgerichtig wurden die Vorschriften
über dessen Erwerb und Verlust lediglich in die
Gemeinde= oder Heimatsgesetzgebung verwiesen.
Die Gesetzgebung der überwiegenden Mehrzahl
der Staaten des Norddeutschen Bundes, ins-
besondere auch das obengenannte preuß. G. vom
31. Dez. 1842, hatte sich dagegen den Gesichts-
punkt zu eigen gemacht, daß der Staat die
Entscheidung über die Aufnahme in seinen Ver-
band nicht einem untergeordneten Gebiete des
Staatsorganismus, der Einzelgemeinde, über-
lassen dürfe. Diese Verschiedenheit der Gesetz-
gebung machte sich um so nachteiliger geltend,
als nach der Errichtung des Norddeutschen Bundes
gemäß Art. 3 der Bundesverfassung die Bundes-
angehörigkeit kein unmittelbares und selbständiges
Rechtsverhältnis war, sondern die S. in einem
Bundesstaate zur Grundlage und Voraussetzung
hatte. Infolgedessen war für die Formen und
Bedingungen, unter welchen die Erwerbung
und der Verlust der Bundesangehörigkeit statt-
fand, eine territoriale Gesetzgebung maßgebend,
in welcher nicht nur zwischen den verschiedenen
Bundesstaaten, sondern auch innerhalb der
einzelnen Landesteile desselben Bundesstaates
mannigfache Abweichungen bestanden. Die
Verknüpfung der Bundesangehörigkeit mit der
S. erforderte daher gebieterisch für beide die
Einführung übereinstimmender Normen im gan-
zen Bundesgebiete. Die verfassungsmäßige
Möglichkeit hierzu war durch Art. 4 der Bundes-
verfassung gegeben, welcher die Bestimmungen
über Staatsbürgerrecht unter dieienigen Gegen-
stände gestellt hat, welche der Beaufsichtigung
und Gesetzgebung des Bundes unterliegen.
Diese Regelung ist erfolgt durch das G. über
die Erwerbung und den Verlust
der Bundes= und S. vom 1. Juni
1870 (Bl. 355), welches nach Errichtung
des Deutschen Reiches auf das gesamte Gebiet
des Reiches, durch G. vom 8. Jan. 1873 (RG# Bl.
51) auch auf Elsaß-Lothringen und durch Kais.
V. vom 22. März 1891 (RöBl. 21) auf Helgo-
land ausgedehnt worden ist.
II. Erwerb und Verlust der S. An
der Spitze des G. vom 1. Juni 1870 ist zunächst
wieder der verfassungsmäßige Grundsatz zum
Ausdruck gebracht, daß die Reichsangehörigkeit
durch die S. in einem Bundesstaate erworben
wird und mit deren Verlust erlischt (§ 1). Über
die Erwerbung und den Verlust der S. wird
sodann unter Berücksichtigung der durch Art. 41
EcG#B#. herbeigeführten Anderungen das fol-
gende bestimmt:
A. Erwerbung der S. Die S. wird
erworben: 1. Mittelbare Erwerbung durch
Abstammung, Legitimation oder
Verheiratung. Durch die Geburt, auch
wenn sie im Auslande erfolgt, erwerben eheliche
Kinder eines Deutschen die S. des Vaters, un-
eheliche Kinder einer Deutschen die S. der
Mutter (§ 3). Durch Legitimation eines un-
ehelichen Kindes seitens eines Deutschen erwirbt
das Kind die S. des Vaters (§ 4). Die Adoption
(s. Annahme an Kindes Statt) hat
diese Wirkung nicht. Die Verheiratung mit
einem Deutschen begründet für die Ehefrau die
Staatsangehörigkeit
Staatsangehörigkeit des Mannes (§ 5). 2. Un-
mittelbare Erwerbung durch Berlei-
hung. Die Verleihung der Staatsangehörig-
keit wird Aufnahme genannt, wenn es sich
um einen Deutschen, und Naturalisation,,
wenn es sich um einen Ausländer handelt. Sie
erfolgt durch die Aushändigung einer Aufnahme-
oder Naturalisationsurkunde, welche in Preußen
von dem Regierungspräsidenten (in Berlin dem
Polizeipräsidenten) ausgestellt wird (St Ang G.
§§ 2, 6, 10; 38G. §& 155; L WG. 8§ 41). ie
Aufnahme= bezw. Naturalisationsurkunde ist ein
Formalakt, welcher durch die Aushändigung
perfekt wird und nur in Ausnahmefällen die
Wirksamkeit verliert, u. a. wenn die Urkunde
durch Vorspiegelung falscher Tatsachen er-
schlichen ist (OV G. 55, 234). a) Die Auf-
nahmeurkunde muß nach §S 7 a. a. O.
jedem Angehörigen eines anderen Bundesstaates
erteilt werden, welcher sie nachsucht und nach-
weist, daß er sich in dem Bundesstaate, in welchem
er die Aufnahme nachsucht, niedergelassen hat,
sofern kein Grund vorliegt, welcher nach den
§§ 2—5 Freizüg G. die Abweisung eines Neuan-
ziehenden oder die Versagung der Fortsetzung
des Aufenthalts rechtfertigt, b) Die Natu-
ralisationsurkunde darf nach 8§ 8
a. a. O. Ausländern nur dann erteilt werden,
wenn sie 1. nach den Gesetzen ihrer bisherigen
Heimat dispositionsfähig sind, es sei denn, daß
der Mangel der Dispositionsfähigkeit durch die
Zustimmung des Vaters, des Vormundes oder
Kurators des zu Naturalisierenden ergänzt wird;
2. einen unbescholtenen Lebenswandel geführt
haben; 3. an dem Orte, wo sie sich niederlassen
wollen, eine eigene Wohnung oder ein Unter-
kommen finden; 4. an diesem Orte nach den
daselbst bestehenden Verhältnissen sich und ihre
Angehörigen zu ernähren imstande sind. Über
die Erfordernisse zu Nr. 2, 3 u. 4 ist zuvor die
Gemeinde, bzw. der AV. derjenigen Orte, wo
der Aufzunehmende sich niederlassen will, mit
ihrer Erklärung zu hören. Über die Stelle,
welche die Erklärung abgegeben hat, s. Erl. vom
4. März 1911 (Ml. 93). Hat der Nachsuchende
sich früher schon in einem anderen Bundesstaate
aufgehalten, so soll die Entscheidung nicht eher
getroffen werden, als bis den Behörden dieses
Bundesstaates Gelegenheit zur Äußerung ge-
geben ist (BRBeschl. vom 22. Jan. 1891 —
Ml. 171). Die Dispositionsfähigkeit und die
Möglichkeit ihrer Ergänzung ist nach dem Rechte
des Heimatsstaates des Nachsuchenden zu be-
urteilen. Unter Niederlassung ist die Begründung
eines Wohnsitzes (Domizils) im Gegensatz zum
bloßen Aufenthalt zu verstehen. Zur Begründung
des Naturalisationsgesuches wird in der Regel
die zuvorige Niederlassung, jedenfalls aber die
ernste Absicht des Gesuchstellers gefordert, sich
dauernd im Inlande aufzuhalten und daselbst
einen neuen Wohnsitz zu begründen. Die Ver-
leihung der Staatsangehörigkeit erstreckt sich
nach § 11 in der Fassung des Art. 41 EG-
BG. zugleich auf die Ehefrau und diejenigen
minderjährigen Kinder, deren gesetzliche Ver-
tretung dem Ausgenommenen oder Naturali-
sierten kraft elterlicher Gewalt zusteht. Aus-
genommen sind Töchter, die verheiratet sind,
oder verheiratet gewesen sind. Da von diesem