Full text: Die Verfassungsgesetze des Herzogtums Braunschweig.

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Die zur Vorprüfung der Vorlagen eingesetzte Kommission 1) war mit den 
Grundzügen der Gesetze zwar einverstanden, hatte aber im einzelnen eine große 
Neihe von Anderungsanträgen zu stellen. Da sie mit ihren Wünschen bei dem 
Ministerium keine ungünstige Aufnahme fand, so sah sie dem Beginn der 
Plenarberatungen mit guten Hoffnungen entgegen. Allein bevor noch die 
Weihnachtsferien der vertagten Landesversammlung zu Ende gingen, fanden die 
Neuwahlen zum Reichstage statt und brachten die unerfreuliche Überraschung, 
daß die sozialdemokratischen Stimmen auf 352000, d. i. auf fast die dreifache 
Anzahl gegenüber den Wahlen von 1871, angewachsen waren. Mit diesem 
Ergebnis war das Geschick wenigstens des Wahlgesetzes von vornherein besiegelt. 
Die Bedenklichkeiten des allgemeinen Stimmrechts erschienen mit einem Schlage 
in ein ganz anderes Licht gerückt und hatten die Freunde der Vorlage, selbst 
innerhalb der Kommission, zum größten Teil in deren entschiedene Gegner um- 
gewandelt. Es lohnt nicht, die Einzelheiten der Verhandlungen weiter zu ver- 
folgen. In erster Lesung des Wahlgesetzes fiel der entscheidende 5 2 (direkte 
allgemeine Wahl) mit 29 gegen 16 Stimmen. Als dann das Gesetz über die 
Zusammensetzung der Landesversammlung an die Reihe kam, war sofort zu 
ersehen, daß die ausgedehnten und unfruchtbaren Beratungen über das Wahl- 
gesetz die Teilnahme der Versammlung eigentlich erschöpft hatten und daß, nach- 
dem jenes gefallen, auch in betreff des anderen Gesetzes keine Neigung vorhanden 
war, den bisherigen Besitzstand der einzelnen Interessentengruppen unnötiger- 
weise ändern zu lassen. Der Ausfall der Abstimmungen war denn auch über 
die Maßen betrüblich. Zu § 1 der Vorlage, der die Zahl der Landesabgeordneten 
feststellte, wurde angenommen nur der Antrag der Kommission, laut dessen die 
Anzahl der Abgeordneten aus den Hoöchstbesteuerten auf 18 bestimmt wurde, 
alles andere, die Vorschläge der Regierung, die Anträge der Kommission, ein 
Antrag aus der Versammlung auf Wiederherstellung einer Vertretung der 
Kirche, ging in einer Reihe ablehnender Beschlüsse spurlos unter (Sitzung vom 
3. Februar 1874). Auch der Versuch der Kommission, in zweiter Lesung ein 
annehmbares Ziel zu erreichen, erwies sich als verlorene Liebesmühe. War in 
erster Lesung bei der Frage, aus wieviel Abgeordneten der einzelnen Interessen- 
kreise die Landesversammlung bestehen solle, ein Mehrheitsbeschluß nur in 
Beziehung auf die Zahl der Höchstbesteuerten erreicht, so geschah es jetzt nur 
hinsichtlich der Abgeordneten der Landgemeinden; das allgemeine Wahlrecht ward 
abermals verworfen und der im Wahlgesetz über das Wahlverfahren handelnde 
Abschnitt mit allen Kommissionsanträgen in einer Abstimmung beiseite ge- 
schoben. Auf das Schreiben der Landesversammlung, welches die trostlosen 
Ergebnisse des dreitägigen Redekampfes der Regierung mitteilte, erwiderte das 
Staatsministerium unterm 22. März 1874, daß die Vorlagen durch die Be- 
schlußfassungen zu hinfällig und lückenhaft geworden seien, als daß ihre Durch- 
führung noch tunlich erscheine, und daß die Landesregierung daher mit dem 
1) Mitglieder Schmid, Köpp und Müller, letztere Beiden Rechtsanwälte in 
Wolfenbüttel, Bautler, Kaufmann in Braunschweig, Haeusler, Rechtsanwalt in 
Braunschweig. 
  
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