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Durch das Aufgeben der Gotik fielen natürlich die Satiren
des Meisels weg; die weiten Hallen, die schlanken, von
niederdrückenden Bogen unabhängigen, blumengekrönten
Säulen und die niederen, mit dem Gebäude verwachsenen,
über dasselbe wenig hervorragenden Türme und Kuppeln
drückten eine die Menschheit in weitesten Maße umfassende,
Überhebungen nicht duldende, Freiheit mit praktischer Menschen-
liebe verbindende Gesinnung aus. Freilich war dieser Bau-
stil durch allerlei geschmackloses Schnörkelwerk verunstaltet;
aber dies war nur ein Auswuchs des damaligen Geschmackes
überhaupt, der sich auch in der Poesie durch die in schwäch-
lichen Gefühlen schwelgenden Hirtengedichte offenbarte. Die
Renaissance-Architektur wurde in England durch den in
Italien gebildeten Maler Inigo Jones eingeführt, welcher
1607 unter Jakob I. Generalintendant der königlichen Bauten
und zugleich Vorsteher der Freimaurer wurde, deren Logen
er reformierte. Er führte statt der jährlichen vierteljährliche
Hauptversammlungen ein; diejenigen Maurer, welche nur
am Handwerke hingen und für höhere, geistige Bestrebungen
keinen Sinn hatten, wurden veranlaßt, in die Zünfte zurück-
zutreten, während auf der andern Seite wieder begabte
Männer, die nicht zum Handwerke gehörten, aber an der
Baukunst und an den Bestrebungen der Zeit überhaupt
Interesse hatten, sich den Logen unter dem Titel „ange-
nommener Brüder“ anschlossen. In diesem veränderten
Bestande erwachte ein neuer, freier Geist unter den freien
Maurern, genährt durch die überall auftauchenden Ideen
einer von Glaubensvorurteilen abgelösten Menschenliebe.
Unberechenbar viel trugen zu der neu aufkeimenden Rich-
tung bei die Bilder, welche Thomas Morus in seiner
Utopia und Sir Francis Bacon in seiner „Neuen Atlan-
tis“ von Ländern entwarfen, die zwar nur in ihrer Phan-
tasie existierten, aber ideale Zustände besitzen sollten wie auf-
geklärte Männer sie auf die Erde herabwünschen mochten,