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einig sein. Daß sie die erstere nicht haben, und vermöge
der geschichtlichen Entwickelung des Bundes nicht haben
können, ist bereits gezeigt worden, und daraus folgt auch,
daß sie nicht einerlei Ansichten haben können, zu deren Her-
beiführung irgend welche allgemeine Vorschriften oder Ver-
abredungen erforderlich wären, die schon deshalb nicht denk-
bar sind, weil viele Großlogen mit vielen anderen gar nicht
im Verkehr stehen.
Es giebt daher ungemein viele Ansichten unter den
Freimaurern, und zwar nicht nur, wie selbst die Ultra-
montanen zugeben, solche vom zahmsten Liberalismus bis
zum entschiedensten Radikalismus, sondern auch sehr kon-
servative, ja sogar politisch reaktionäre und religös orthodoxe.
Man kann die letztere Richtung sogar der Mehrzahl
der Angehörigen des schwedischen Systems, also der soge-
nannten großen Landesloge von Deutschland (die aber
nur eine von acht deutschen Großlogen bildet) und der-
jenigen von Dänemark und Schweden, sowie der britischen
und amerikanischen Neutempler (oben S. 46 fh zuschreiben,
ohne ihnen unrecht zu thun. Ja, ganz sicher wäre auch
der Ultramontanismus im Freimaurerbunde vertreten, wenn
nicht verschiedene Päpste denselben in den Bann gethan
hätten. Diesem Umstande aber ist es zuzuschreiben, daß
unter den verschiedenen politischen und religiösen Ansichten
der Freimaurer, wenigstens in ganz oder teilweise katholischen
Ländern, die antiultramontane oder antiklerikale Richtung
am meisten hervortritt. Denn wenn die Päpste Krieg mit
der Freimaurerei haben wollten, so mußten sie sich auch
Antworten gefallen lassen. Daß aber der erste Angriff in
diesem Kriege von päpstlicher Seite ausging, beweist klar
die Bulle Clemens XII. vom 28. April 1738, „in
Gcminenti“ genannt, die erste, die sich mit den Freimaurern
beschäftigte. Wäre dieser Bulle irgend ein Angriff oder
eine Beleidigung des Papsttums durch die Freimaurer vor-