Dagegen besteht im weiten Zarenreiche ein Greuel fort,
der alles im Reiche der Unzucht, mit Ausnahme des weiter—
hin darzustellenden Mädchenhandels in Schatten stellt; ja es
dürfte sich fragen, ob er an Entsetzlichkeit nicht auch noch
diesen übertrifft, weil er geradezu offiziell hervorgerufen wird.
Bei der ungeheuren Menge der in Rußland beständig „ver-
schickten" Verbrecher, Verdächtigen und derer, die dafür
gehalten werden, bemächtigen sich während der Transporte
gerade die verworfensten Bösewichte einer Art von Herrschaft
über die weniger gefährlichen und noch mehr über die
unschuldig verschickten Personen, nehmen ihnen alles weg,
was ihnen gefällt, mißhandeln sie, töten sie sogar, wenn sie
ihnen mißbeliebig sind, ohne daß die Behörden den Thätern,
die fest zusammenhalten, und ihre Schicksalsgenossen durch
den Schrecken beherrschen, auf die Spur kommen. Was
dabei den mit den Verbrechern u. s. w. „verschickten“ Frauen
geschieht, läßt sich denken.) Sie werden aber „verschickt",
und zwar mit Verbrechertransporten, auch wenn sie sich nicht
nur nichts zu schulden kommen ließen, sondern auch nicht
einmal verdächtig sind, — nur weil es einmal so „Sitte"
ist. Es kommt z. B. vor, daß ein Mädchen studieren will,
der Vater es aber nicht gestattet. Dieser schreibt an die
Polizei der Universitätsstadt und verlangt die Heimsendung
der Tochter. Diese wird aufgegriffen und einem Verbrecher-
transport einverleibt und kommt, — von den Verbrecher-
häuptern geschändet oder als Leiche zu Hause an. Ein
Soldat, tausende von Meilen versetzt, wünscht seine Frau
bei sich zu haben. Die Behörde willfahrt ihm, verhaftet die
Frau, läßt sie im Gefängnis schmachten, bis ein Verbrecher-
transport bereit ist, und sendet sie mit diesem fort. Die
Reise dauert Monate, ja Jahre lang; entweder stirbt sie
auf dem Wege, oder es kommen nur die traurigen Reste
*) E. B. Lanin, Russische Zustände (Dresden 1892), 1. S. 244 ff
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