Full text: Die Gebrechen und Sünden der Sittenpolizei aller Zeiten, vorzüglich der Gegenwart.

— 133 — 
auf Philosophie, so in Indien mehr auf Poesie. In dem 
ältesten bekannten indischen Drama: Mritschakati (Das Thon— 
wägelchen) spielt die Hetäre Vasantasena die Hauptrolle und 
wird zum guten Ende die zweite Gemahlin des Brahmanen 
Tscharudatta; sie besitzt einen Palast mit weitläufigen Höfen 
und zahllosen Gemächern. Das Verbot des vertrauten Ver— 
kehrs zwischen Gliedern verschiedener Kasten schiebt einerseits 
der Prostitution einen mächtigen Riegel vor, während anderer— 
seits die gestattete Vielweiberei in vielen Fällen ein Aus— 
kunftsmittel an die Hand giebt, das in Europa fehlt. Be— 
kannt ist wohl die Stellung der Bajaderen, aber sie sind 
durchaus keine verworfenen und schamlosen Geschöpfe. Leider 
cheint europäischer Einfluß die Zustände in Indien schon 
erheblich verschlimmert zu haben, (wie wir oben S. 126ff. ge— 
zeigt haben); die unvollkommenere Kultur unterliegt stets 
nicht nur der vollkommeneren, sondern auch den mit ihr 
verbundenen Schattenseiten. Die höhere Kultur aber kann 
bessere sittliche Zustände von der weniger hohen Kultur 
nicht annehmen, weil die Voraussetzungen der besseren Sitten 
für sie unbrauchbar, weil Kasten und Vielweiberei in Europa 
unmöglich sind und nicht nur keine Besserung herbeiführen, 
sondern sowohl die Moral als die Geisteskultur hinabdrücken 
müßten. 
Übrigens hat in den mohammedanischen Ländern, 
welche keine Kasten besitzen, auch neben der Vielweiberei und 
der mit ihr engverbundenen Sklaverei die Prostitution immer 
bestanden. Bis auf Mehemed Ali bildeten die öffentlichen 
Dirnen in Agypten eine Korporation unter Aufsicht eines 
Scheich. Mehemed Ali unterdrückte diese Einrichtung; aber 
darum besteht die Prostitution um so üppiger im Geheimen 
fort. Man rechnet in Agypten bei einer europäischen Be- 
völkerung von etwa 50,000 Seelen nicht weniger als 16,000 
europäische Dirnen. Dagegen steht, wie uns versichert wird, 
einer Verheiratung von Dirnen, die sich bessern wollen, im
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.