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auf Philosophie, so in Indien mehr auf Poesie. In dem
ältesten bekannten indischen Drama: Mritschakati (Das Thon—
wägelchen) spielt die Hetäre Vasantasena die Hauptrolle und
wird zum guten Ende die zweite Gemahlin des Brahmanen
Tscharudatta; sie besitzt einen Palast mit weitläufigen Höfen
und zahllosen Gemächern. Das Verbot des vertrauten Ver—
kehrs zwischen Gliedern verschiedener Kasten schiebt einerseits
der Prostitution einen mächtigen Riegel vor, während anderer—
seits die gestattete Vielweiberei in vielen Fällen ein Aus—
kunftsmittel an die Hand giebt, das in Europa fehlt. Be—
kannt ist wohl die Stellung der Bajaderen, aber sie sind
durchaus keine verworfenen und schamlosen Geschöpfe. Leider
cheint europäischer Einfluß die Zustände in Indien schon
erheblich verschlimmert zu haben, (wie wir oben S. 126ff. ge—
zeigt haben); die unvollkommenere Kultur unterliegt stets
nicht nur der vollkommeneren, sondern auch den mit ihr
verbundenen Schattenseiten. Die höhere Kultur aber kann
bessere sittliche Zustände von der weniger hohen Kultur
nicht annehmen, weil die Voraussetzungen der besseren Sitten
für sie unbrauchbar, weil Kasten und Vielweiberei in Europa
unmöglich sind und nicht nur keine Besserung herbeiführen,
sondern sowohl die Moral als die Geisteskultur hinabdrücken
müßten.
Übrigens hat in den mohammedanischen Ländern,
welche keine Kasten besitzen, auch neben der Vielweiberei und
der mit ihr engverbundenen Sklaverei die Prostitution immer
bestanden. Bis auf Mehemed Ali bildeten die öffentlichen
Dirnen in Agypten eine Korporation unter Aufsicht eines
Scheich. Mehemed Ali unterdrückte diese Einrichtung; aber
darum besteht die Prostitution um so üppiger im Geheimen
fort. Man rechnet in Agypten bei einer europäischen Be-
völkerung von etwa 50,000 Seelen nicht weniger als 16,000
europäische Dirnen. Dagegen steht, wie uns versichert wird,
einer Verheiratung von Dirnen, die sich bessern wollen, im