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sehr langsam Fuß. Erst 1890 wurde ein Bund der deutschen
Sittlichkeitsvereine in Hannover angebahnt, wobei zwar dessen
Sympathien mit dem britischen und allgemeinen Bunde aus-
gesprochen, bezüglich der Tendenzen desselben aber noch
Zurückhaltung beobachtet wurde.
Mit dem Kampfe gegen die körperliche Prostitution ist
aber nicht Alles gethan; denn es giebt auch eine geistige
Prostitution, welche öffentlich die sittlichen Gefühle sogar
der Kinder untergräbt und welcher selbst der abgesagte
Feind solchen Treibens schwer entgehen kann. Es ist dies
die Pflege der Obseönität, welche sich in folgenden schreienden
Übelständen kundgiebt:
1. in der Herstellung, dem Verkaufe und der Versendung
unzüchtiger Karten, Bilder, Schriften und Bücher.
Namentlich ist die anonyme Zusendung schamloser Karten
am Neujahrstage ein nicht genug zu geißelnder Unfug, für
den die Verantwortlichkeit auf die gewissenlosen Zeichner
Drucker und Verleger solcher Schmutzartikel fällt. Es läßt
sich kein ärgerer Hohn denken, als die Zusendung derselben
an ahnungslose Personen, besonders an unschuldige Mädchen,
denen die feierliche Stimmung am Neujahrstage auf diese
Weise vergällt wird. Aber auch die Schaustellung solchen
Schmutzes in Schaufenstern geringerer Buchhandlungen, die
Auslage von Nuditäten in denen sogar größerer und besserer
Geschäfte, die Inserierung durchsichtig unsittlicher Anzeigen
in öffentlichen Blättern (z. B. betreffend Anknüpfung loser
Bekanntschaften, Verkauf unzüchtiger Präparate u. s. w.) ist
ebenso verwerflich und den Behörden zur Unterdrückung zu
empfehlen.
2. Für eine der gefährlichsten Quellen der Prostitution
aber halten wir das Ballet. Nicht weil es stets unzüchtig
wäre, was allerdings vielfach der Fall ist, aber weil es die
ihm verschriebenen Mädchen dem Verderben überliefert und
eine Vorschule der Prostitution, zunächst freilich mehr der