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und ähnliche Erscheinungen konnten verhindern, daß die
Besserung der Sitten im Bürgerstande fortschritt.
Ein eigentümliches Verhältnis im Familienleben
bildete sich seit der uns hier beschäftigenden Zeit in Italien
aus, nämlich die „Sitte,“ daß eine verheiratete Dame nur
während des ersten Jahres nach der Hochzeit öffentlich in
Begleitung ihres Gatten erschien, seitdem aber niemals anders
als an der Hand eines ausgewählten Hausfreundes, welchen
die melodische Sprache nach der flüsternden Unterhaltung, die
er mit seiner Gebieterin führte, „Cicisbeo“ nannte. Dieses
von da an unentbehrliche Glied jeder italienischen Familie
stattete der Dame, deren Diensten er sich gewidmet hatte,
jeden Morgen bei ihrer Toilette einen Besuch ab, berichtete
ihr über alle Stadtneuigkeiten, begleitete sie zu Wagen und
zu Fuß, auf den Corso und in die Kirche, in's Theater
und überallhin. Nur beim Mittagessen und bei Nacht war
sie die Gefährtin ihres Mannes. War der Cicisbeo reich,
so bestritt er alle Vergnügungen, zu denen er seine Dame
führte, — war er arm, so bezahlte er für Beide aus ihrem
Beutel, den sie ihm anvertraute. Er war zu blindem Ge-
horsam gegen sie verbunden und hatte ihre Launen ohne
Widerspruch zu erdulden. Es begnügten sich jedoch nicht
alle Italienerinnen mit diesem zarten Verhältnisse. Wir
erfahren von dem berühmten Massimo d’'Azeglio, daß ein
Herr, der vor der französischen Revolution lange Zeit in
Rom gelebt hatte, zu ihm sagte: „Wir haben kaum eine
Dame in der Gesellschaft, die nicht neben dem Liebhaber in
Amt und Würde noch irgend einen Kutscher, Soldaten oder
dergl. zu ihrem Vergnügen unterhält.“ — Ücberließ der
italienische Gatte seine Frau in galanter Weise dem Haus-
freunde, so war dagegen der englische so brutal, die seinige,
wenn sie ihm lästig war, an einem Stricke auf den Markt
zu führen und zu verkaufen.
Solchen ehelichen Verhältnissen gegenüber herrschte da-
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