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öftere ärztliche Untersuchung. Nicht selten sind solche Lokale
auch der Schauplatz wilder Exzesse von Seite der Gäste,
wie nicht minder unter den Dirnen aus Eifersucht oder
anderen Gründen Kämpfe der scheußlichsten Art vorfallen,
die ihrer Schönheit oft gefährlich sind.
Ein freieres Leben führen die „isolierten“ Mädchen.
Es gab und giebt ihrer eine große Anzahl von Gattungen,
die ihre besonderen Namen führten und führen. In den
dreißiger Jahren waren die „Grisetten“ die bekannteste und
wohl auch die harmloseste derselben. Ohne viel Eigennutz
und im Ganzen nicht gerade schamlos, gaben sie sich meist
längere Zeit einem Einzigen, einem Studenten, Künstler oder
andern gebildeten jungen Manne hin, mit dem sie oft zu-
sammenlebten, um nach seinem Weggange eine andere Ver-
bindung einzugehen. Nicht selten wirkte ein solches Verhältnis
veredelnd auf sie und endete wohl gar mit einer Heirat.
Diese in ihrer Art oft liebenswürdige Rasse, welche Eugen
Sue in seiner „Rigolette“ zeichnet, ist jetzt ausgestorben und
hat, namentlich seit dem fäulnisreichen zweiten Kaiserreich,
geld= und genußsüchtigen, aller Herzensregungen baren und
schamlosen Geschöpfen Platz gemacht. Diese Loretten, Cocotten,
Biches und wie sie Alle heißen, benutzen Liebe, Anmut und
Eleganz nur zur Maske der niedrigsten Leidenschaften und
verraten, bestehlen, betrügen und ruinieren in jeder Beziehung
den, dem sie sich hingeben. Oft stecken sie auch in heimlichem
Bunde mit den gefährlichsten Industrierittern, denen sie ihre
Beute ins Garn jagen. Die Rendez-vous mit solchen Per-
sonen sind die erwähnten Maisons de passe, welche in ihren
geringeren Abarten oft die Erdgeschosse ganzer Straßen ein-
nehmen, in denen es zuweilen recht gemein, roh und selbst
blutig zugeht. Die gemeineren Dirnen ergeben sich stark
dem Trunke und sind bis zum ekel schamlos.
Wir können die Einzelheiten der französischen Prostitution
nicht so ausführlich und auch nicht mit soviel Esprit zeichnen,