Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Der Weg der Gesetzgebung. 
(8. 110.) 15 
5. Was die Art und Weise betrifft, in welcher die Kammern ihr verfassungsmäßiges 
Recht der Teilnahme an der Gesetzgebung ausüben, so bestimmt sich diese, insoweit die 
Verfassungsurkunde erschöpfende spezielle Bestimmungen hierüber nicht enthält, nach der 
Geschäftsordnung der betreffenden Kammer. 1 Grundsätze können indes teils aus der Ver- 
fassungsurkunde selbst, teils aus allgemeinen konstitutionellen Erwägungen hergeleitet werden. 
a) Jedes der beiden Häuser berät und beschließt für sich allein. Können die beiden 
Häuser sich zu einem gleichlautenden Beschlusse nicht vereinigen, so kann das Gesetz nicht 
erlassen werden, weil jeder Kammer das volle Recht der Einwilligung gebührt? und dem 
Könige ein Entscheidungsrecht über Meinungsverschiedenheiten derselben nicht zusteht. 
Deputationskonferenzen zur Herbeiführung der Vereinigung beider Häuser sind in der 
Verfassungsurkunde nicht vorgesehen, demgemäß als unzulässig zu betrachten; sie würden 
nach preußischem Staatsrecht nur den Charakter von Privatverhandlungen tragen.3 
  
zwo die andere Kammer über den betr. Ent- 
wurf Beschluß gefaßt habe. Die Streitfrage 
wurde indes bei dieser Gelegenheit nicht zum 
Austrage gebracht, sondern in einer motivierten 
Tagesordnung ausgesprochen, „daß derselben als 
einer wichtigen Verfassungsfrage, nicht durch Be- 
schlüsse über die Gesch. O. einer Kammer vorge- 
griffen werden könne“ (vgl. Stenogr. Ber. der 2.K. 
a. a. O. und Ber. der Gesch. O. Komm. der 2. K. 
v. 17. Jan. 1853, in deren Drucks. Nr. 39). Tat- 
sächlich ist es früher öfter geschehen, daß die Staats- 
regierung ihre Entwürfe gleichzeitig in beide 
Häuser eingebracht hat; allein dann hat sich die 
Sache praktisch so gestaltet, daß die Plenar- 
beratungen in dem einen Hause erst nach Beschluß- 
fassung des anderen eingetreten sind. Dagegen 
liegen allerdings Fälle vor, wo die Beratungen 
in den Kommissionen beider Häuser nebeneinander 
hergegangen und die Beschlüsse der Kommissionen 
sogar (zur Beförderung des Geschäftsganges) 
wechselseitig mitgeteilt worden sind. In einem 
Präzedenzfalle (welcher eine Verfassungsänderung 
betraf) wurde indes ein Antrag des Präsidenten 
der 1. K. auf Innehaltung desselben Verfahrens 
von dem Präsidenten der 2. K. ohne Widerspruch 
der letzteren abgelehnt (vgl. das Nähere über die 
vorgekommenen Präzedenzfälle in den angef. Druckf. 
Nr. 39). Es ist unzweifelhaft mit Recht an- 
genommen worden, daß die Streitfrage nicht in 
der Gesch. O. ihre Lösung finden kann, sondern 
daß ihre Entscheidung in der Form einer authen- 
tischen Deklaration der Verf. Urk. würde erfolgen 
müssen, — schon deshalb, weil dabei die Krone 
ebensowohl interessiert ist als die Kammern, und 
weil den Rechten jener nicht durch Normen der 
ausschließlich der Autonomie jeder Kammer über- 
lassenen Gesch. O. (Art. 78 der Verf. Urk.) prä- 
judiziert werden kann. Ebenso ist nicht zu be- 
zweifeln, daß, weil jeder Kammer das Recht zu- 
steht, ihre Gesch. O. selbständig zu regeln, ihr 
auch die Befugnis zusteht, zu beschließen, ob sie 
sich mit einem beiden Häusern zugleich vorgelegten 
Vorschlage gleichzeitig neben dem anderen Hause 
beschäftigen oder dessen Beschlüsse vorerst ab- 
warten will. Dies um so mehr, als die Fest- 
setzung der Tagesordnung jedenfalls dem Präsi- 
denten (in gewissen Fällen unter Teilnahme des 
betr. Hauses) gebührt und der Staatsregierung 
eine entscheidende Stimme dabei niemals zusteht. 
Damit ist indes der Streit nicht prinzipiell ent- 
schieden, wenngleich praktisch von minderer Er- 
heblichkeit geworden. — Im J. 1859 hat die 
  
Staatsregierung erklärt, daß die gleichzeitige 
Mitteilung von Gesetzvorlagen an beide Häuser 
lediglich den Zweck verfolge, eine vorbereitende 
Beratung, und dadurch eine Beschleunigung der 
Sache zu ermöglichen, und daß bei diesem Ver- 
fahren die Absicht eines Eingriffs in die ver- 
fassungsmäßigen Rechte des betr. Hauses nicht 
vorliege. Die Komm. des A. H., in welcher diese 
Erklärung (durch den Fin. Min. v. Patow) ab- 
gegeben worden, hat hierauf zwar von einer 
weiteren Erörterung des Gegenstandes Abstand 
genommen, jedoch Verwahrung dagegen eingelegt, 
daß das von der Staatsregierung eingeschlagene 
Verfahren gleichzeitiger Einbringung von 
Gesetzentwürfen in beide Häuser, insbesondere 
von Finanzgesetzentwürfen, jemals die Bedeutung 
einer Präzedenz erlange (vgl. den Komm. Ber. 
des A. H. v. 9. Mai 1859, Stenogr. Ber. des A. H. 
1859, Bd. IV, S. 835, und Drucks. desselb. 1859, 
Bd. V, Nr. 189, S. 8—9). Vgl. über die Materie 
auch die Verhandl. in der Sitzung der 2. K. v. 
15. Jan. 1851, in den Stenogr. Ber. der 2. K. 
1850 —51, Bd. I, S. 101 ff. und insbes. S. 112 (am 
Schlusse). Gegen v. Rönne haben sich erklärt: 
v. Gerber, Grundzüge, 3. Aufl., S. 149, N. 2; 
G. Meyer-Anschütz, §. 158, S. 565; Schwartz, 
Verf. Urk., S. 204 f.; Bornhak I, S. 525 f.; 
v. Stengel, S. 169; H. Schulze, Preuß. St. R., 
Bd. II, S. 201, welcher jedoch anerkennt, daß 
Gründe der Zweckmäßigkeit und die allgemeine 
konstitutionelle Theorie dafür sprechen, daß Gesetz- 
vorlagen immer einem Hause zuerst gemacht 
werden. Die Staatsregierung selbst hat indes 
anerkannt, daß es nicht zulässig sei, einen von 
der Staatsregierung aufgestellten Gesetzvorschlag 
gleichzeitig in beiden Häusern des Landtages ein- 
zubringen (vgl. Schreiben des Min. Präs. Grafen 
v. Bismarck v. 10. Mai 1867 an den Präs. 
des H. H., in den Stenogr. Ber. des H. H. 1867, 
S. 14—15). 
1 Aus diesem Grunde lassen sich allgemeine 
und für alle Zukunft geltende Regeln über den 
Gegenstand nicht aufstellen. Uber den nach den 
jetzt bestehenden Geschäftsordnungen zu beobachten- 
den Geschäftsgang in bezug auf Gesetzvorlagen 
und Gesetzvorschläge vgl. oben Bd. 1, §. 35, VI, 
S. 405 ff. 
2 Verf. Urk. Art. 62, Abs. 2. 
3 Bei der Revision der oktr. Verf. Urk. vom 
5. Dez. 1848 kam im Zentralausschuß der 1. K. 
(bei Beratung über den jetzigen Art. 62) zur 
Sprache, daß die Bestimmungen der Verf. Ur?.
	        
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