Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Zweite Abteilung. (3_2)

282 Unterrichtswesen. 
(§. 138.) 
Anzahl von Unterrichtsanstalten entstanden, welche einerseits ihren Schülern eine höhere 
Bildung zu geben versuchen, als dies in der mehrklassigen Volksschule geschieht, anderer- 
seits aber auch die Bedürfnisse des gewerblichen Lebens und des sogenannten Mittel- 
standes in größerem Umfange berücksichtigen, als dies in höheren Lehranstalten regel- 
mäßig der Fall sein kann. Das Ministerium der geistlichen, Unterrichts= und Medizinal- 
angelegenheiten hatte bereits durch den Erlaß v. 15. Okt. 1872 1 bestimmt, daß nicht 
nur die bestehenden Anstalten dieser Art weiter zu entwickeln, sondern auch die Neu- 
errichtung derselben seitens der Gemeinden tunlichst zu fördern sei?, und daß solche 
Schulen als Mittelschulen anzusehen und zu bezeichnen seien, wenn sie nachfolgenden 
Anforderungen entsprächen: 
a) Diese Schulen sollen neben der Volksschule des Ortes bestehen und mindestens 
fünf aufsteigende Klassen mit einer Höchstzahl von je fünfzehn Schülern haben; es 
kann jedoch gestattet werden, daß die Oberklassen einer sechsklassigen Volksschule nach 
dem Lehrplane der Mittelschule arbeiten. « 
b) Der Unterricht in der Mittelschule ist im Anschlusse an den mitgeteilten Lehr- 
plan, welcher auf eine sechsklassige Schule berechnet ist, zu erteilen. Bei fünf Klassen 
ist der Lehrstoff der drei Unterklassen auf zwei Klassen zu verteilen; bei mehr als sechs 
Klassen findet eine Erweiterung des Pensums statt. Wo die brtlichen Verhältnisse eine 
besondere Berücksichtigung des Ackerbaues, Fabrikwesens, Bergbaues, Handels und der 
Schiffahrt in dem Lehrplane bedingen, sind die erforderlichen Anderungen in demselben 
vorzunehmen; demgemäß ist es auch je nach dem Bedürfnisse zuzulassen, nur eine der 
im Lehrplane bezeichneten neueren Sprachen oder statt ihrer eine andere in den Lehrplan 
aufzunehmen.“ 
) Die Inventarien müssen den höheren Lehrzwecken der Mittelschule entsprechen. 
d) Der Unterricht ist nur von solchen Lehrern zu erteilen, welche hierzu nach Maß- 
gabe der Prüfungsordnung als befähigt anerkannt sind. 
Nach dem Gesetz v. 11. Juni 1894 betreffend das Ruhegehalt der Lehrer und Lehrerinnen 
an den öffentlichen nichtstaatlichen mittleren Schulen und die Fürsorge für ihre Hinter- 
bliebenen sind mittlere Schulen (i. S. dieses Gesetzes) diejenigen Unterrichts- 
anstalten, welche allgemeinen Bildungszwecken dienen und welche weder zu 
den höheren Schulen (Realschulen, Gymnasien, Lyzeen, Oberlyzeen und Studienan- 
stalten für Mädchen) noch zu den Fach= und Fortbildungsschulen gehören (§. 1). 
In neuester Zeit ergab sich die Notwendigkeit einer durchgreifenden Umgestaltung 
der Mittelschule. Die Neuordnung ist durch den Ministerialerlaß v. 3. Febr. 1910 5 
in die Wege geleitet worden. Wie die „Vorbemerkungen“ zu den neuen „Bestim- 
mungen über die Neuordnung des Mittelschulwesens“ ausführen, erfordert die 
Entwicklung auf den Gebieten des Handwerks, des Kunstgewerbes, des Handels und der 
Industrie eine gesteigerte Ausbildung der Knaben und der Mädchen für diese Erwerbs- 
zweige. Im Zusammenhang damit macht sich das Bedürfnis nach einer geeigneten Vor- 
bereitung auf mancherlei mittlere Stellungen im Verwaltungsdienst des Staates und der 
Gemeinden, wie größere Industrie- und Handelsgeschäfte geltend. Diesen Forderungen 
vermag die Volksschule auch in ihren entwickeltsten Gestaltungen wegen der mannigfachen 
Schwierigkeiten, unter denen sie als allgemeine Pflichtschule arbeitet, nur in geringerem 
Grade zu dienen. Bei der höheren Schule wieder liegen die Ziele nach der wissenschaft- 
  
von Schulen, in denen die Jugend zu Künsten 
und bürgerlichen Gewerben vorbereitet werden soll. 
1 M. Bl. d. i. * 1872, S. 279, Nr. 255, 
Z. U. V. 1872, S. 598; dazu die erläuternden 
Erlasse beselben- Ministeriums v. 19. März, 
3. April und 7. April 1873, M. Bl. d. i. Verw. 
1873, S. 175—177. 
: Der Min. Erl. v. 15. Okt. 1872 bestimmt, 
daß in keinem Falle durch die Verfolgung höherer 
Unterrichtsziele die Volksschule benachteiligt wer- 
den dürfe, daß daher nur da, wo für die letztere 
  
eine ausreichende Fürsorge stattgefunden habe, die 
Errichtung von Mittelschulen seitens der Behör- 
den anzustreben sei. 
„ Über die Notwendigkeit der Erteilung und 
die Bedeutung des Unterrichts in wenigstens einer 
fremden Sprache in der Mittelschule vgl. die Min. 
Erl. v. 19. März 1873 (Z. U. V. 1873, S. 231) 
und v. 23. April 1873 (M. Bl. d. i. Verw. 1873, 
S. 177, Nr. 113; Z. U. V. 1873, S. 283). 
4 G. S. 1894, S. 109. 
5 Z. U. V. 1910, S. 343—408.
	        
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