116 Zweiter Abschnitt.
(8. 27.)
Der Vorsteher eröffnet und schließt die Sitzungen, leitet die Verhandlungen und
handhabt die Sitzungspolizei. Er kann Zuhörer aus dem Sitzungszimmer entfernen
lassen, welche öffentliche Zeichen des Beifalls oder des Mißfallens geben oder Unruhe
irgend einer Art verursachen.!
V. Die Stadtverordneten können sich, und zwar in den alten Provinzen wie in
Frankfurt a. M. unter Zustimmung des Magistrats, eine Geschäftsordnung geben? und
darin Zuwiderhandlungen der Mitglieder gegen die zur Aufrechterhaltung der Ordnung
bestehenden Vorschriften mit Disziplinarstrafen belegen. Diese dürfen nur in Geld-
bußen? und bei mehrmaligem Zuwiderhandeln in der auf gewisse Zeit oder für die
Dauer der Wahlperiode zu verhängenden Ausschließung aus der Versammlung bestehen.
In Hannover, Kurhessen und Nassau können auch ohne Erlaß einer Geschäfts-
ordnung schon auf Grund gesetzlicher Vorschrift Mitglieder der Gemeindevertretung in
Geldstrafe“" genommen werden, wenn sie ohne Entschuldigung die Sitzung versäumen.
Über die Verhängung der Strafen beschließt in beiden Fällen die Stadtverordneten-
versammlung, vorbehaltlich der dem Betroffenen wie dem Stadtvorstande binnen zwei
Wochen offenstehenden Klage im Verwaltungsstreitverfahren.?
VI. Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit mit Stichentscheid des Vor-
sitzenden gefaßt. Wer nicht mitstimmt, wird bezüglich der Feststellung der Beschluß-
fähigkeit der Versammlung als anwesend betrachtet, die Stimmenmehrheit wird aber nur
nach der Zahl der Stimmenden festgestellt.“
Von den Verhandlungen über Rechte und Pflichten der Stadtgemeinde ist derjenige
ausgeschlossen, dessen Privatinteresse' mit dem der Gemeinde in Widerspruch steht. Wird
durch solche Ausschließung bewirkt, daß eine beschlußfähige Anzahl von Stadtverordneten
führers anlangt, so wird dieser in der G. O. kurh.
nicht gedacht. In Schleswig-Holstein kann
das Amt des Schriftführers dem stellvertretenden
Vorsteher (St. O., §. 55, Abs. 2) und in den
alten Provinzen auch einem von den Stadt-
verordneten nicht aus ihrer Mitte Gewählten
übertragen werden. Letzterer ist vom Bürger-
meister in öffentlicher Sitzung der Stadtver-
ordneten zu vereidigen.
Die Wahl zu allen obengedachten Stellen er-
folgt in den alten Provinzen und Frank-
furt a. M. ebenso wie die der Magistrats-
mitglieder, in Hannover und Schleswig-
Holstein ist nur vorgeschrieben, daß absolute
Majerität aller Anwesenden entscheiden soll. Im
übrigen fehlt es an besonderen Vorschriften.
In Hohenzollern = Sigmaringen wird
der Obmann auf drei, in Hohenzollern=
Hechingen auf zwei Jahre geweil.
St. O. ö., wiesb. u. w., 8. 46; rh., §. 43;
frkf., §. 56; schlesw.= holst., .. 56. Abs. 2; hann.,
* 106, Abf. 2, 109.
2 St. O. ö., wiesb., §. 48; w., §. 47, Abs. 3;
rh., §. 44; frkf., §. 58; schlesw.-holst., §. 57.
Bei der Bürgermeistereiverfassung fällt die Zu-
stimmung des Stadtvorstandes weg, der Bürger-
meister kann hier aber die Beschlüsse der Stadt-
verordneten über Einführung einer Geschäfts-
ordnung oder einzelner Bestimmungen derselben
beanstanden.
Das Maximum derselben beträgt nach den in
der vorangehenden Anm. genannten St. Ordugn.
15 Mark.
* In Hannover (St. O., §. 103) ist kein
Maximalbetrag bestimmt, in Kurhessen (G.
O., §. 99) kann die Strafe in maximo 3 Mark,
in Nassau (G. G., §. 24) 1,71 Mark betragen.
In Kurhessen kann dieselbe Strafe wegen
ungebührlichen Benehmens in der Versamm-
lung verhängt werden.
5 Zust. G., §§. 10, 11, u. v. Brauchitsch, I,
S. 206, Schluß d. Anm. 21 zu §. 10.
" St. O. ö., wiesb. u. w., ; rh., 8. 36;
frtf. 53; schlesw. holst., .. k„ Hnk. S. 107.
St. O. U., wiesb. u. w., §. 4: rh., 8. 41;
frkf., —2 54; schlesw.-holst., g. 64; hann., 8. 103;
G. O -kurh. -, S. 6.
Soweit diese St. Ordugn. nicht Platz grei-
fen, wird gemeinrechtlich angenommen, daß die
wegen Kollision ihres Sonderrechts mit dem
Gemeinderecht stimmunfähigen Mitglieder als
nicht vorhanden zu betrachten sind. Daher hat
z. B. das Ob. Trib. (Seufferts Arch., XXXIIII,
Nr. 191) den Beschluß der Prozeßführung seitens
einer Gemeindeversammlung, zu welcher die zu
verklagenden Mitglieder nicht geladen waren, für
gültig erklärt.
Es muß vor allem ein Privatinteresse vor-
liegen, und es genügt nicht ein solches, welches
sich aus der Zugehörigkeit zu einer Korporation
(Kirchengemeinde) oder zu einer gewissen Ein-
wohnerklasse (Grundbesitzer) ergiebt. Das Inter-
esse muß ferner mangels näherer Bestimmungen
ein eigenes der einzelnen Mitglieder sein;
wie sich dieses auch aus der Kabinettsordre v.
13. Juli 1833 (G. S., S. B4), aus welcher die
Vorschrift in die neuen preußischen St. Ordugn.
übergegangen ist, und aus 8. 66 des Entwurfs
von 1876, der in dieser Vorschrift nichts ändern
wollte, ergiebt. Der Grund zur Ausschließung
ist nicht schon dann gegeben, wenn es sich um
das Interesse eines Verwandten handelt. Wäre
dieses beabsichtigt worden, so bätte angegeben
werden müssen, bis zu welchem Grade der Ver-
wandtschaft diese Bestimmung Anwendung fin-
den soll. Dies ist nur in der St. O. schlesw.