Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

138 Zweiter Abschnitt. (8. 34.) 
pflichtet, den Beschluß zu beanstanden, und kann von der Aufsichtsbehörde eventuell dazu 
angewiesen werden.! Im übrigen kann der kollegialische Gemeindevorstand, welcher nur 
die mit seiner Zustimmung gefaßten Beschlüsse auszuführen braucht?, diese Zustimmung 
aus jedem beliebigen Grunde versagen. Der Bürgermeister in der Rheinprovinz, 
dem das Zustimmungsrecht überhaupt fehlt, darf, sofern keine Kompetenzüberschreitung 
oder Gesetzesverletzung vorliegt, Beschlüsse der Stadtverordneten nur dann beanstanden, 
wenn sie eine direkte Verletzung des Gemeinde= oder Staatswohles enthalten.¾ überall 
sind die Gründe der Beanstandung oder der Verweigerung der Zustimmung den Stadtt- 
verordneten mitzuteilen. 
Für das weitere Verfahren ist zu unterscheiden, ob der Beschluß wegen Kompetenz- 
und Gesetzwidrigkeit“ beanstandet, oder aus Zweckmäßigkeitsgründen die Zustimmung 
versagt und seine Ausführung abgelehnt ist.? Im ersteren Falle ist der Gemeinde- 
vertretung gegen die mit aufschiebender Wirkung ergehende Beanstandungsverfügung des 
Vorstanres die Klage im Verwaltungsstreitverfahren gegeben 5, im letzteren 
dagegen, den das Gesetz als Meinungsverschiedenheit zwischen dem Gemeindevorstande 
und der Gemeindevertretung bezeichnet, hat der Bezirksausschuß die Beschlußfassung.7 
  
1 Diese Verpflichtung ist durch Zust. G., §. 15, 
jedem Gemeindevorstande auferlegt, auch wo sie 
ihm nach den betr. Gemeindegesetzen früher 
nicht oblag. Andererseits kann der Gemeinde- 
vorstand von der Aufsichtsbehörde fernerhin 
nur zur Beanstandung gesetz= oder kompetenz- 
widriger Beschlüsse angewiesen werden. „Die 
in den Gemeindeverfassungsgesetzen begründete 
Befugnis der Aufsichtsbehörden, aus anderen 
als den vorstehend angegebenen Gründen eine 
Beanstandung der Beschlüsse . des kollegiali- 
schen Gemeindevorstandes herbeizuführen, wird 
aufgehoben.“ Vgl. auch St. O. wiesb., §. 79. 
An eine bestimmte Frist ist die Beanstandung 
nicht gebunden. Es kann daher auch noch ein 
Beschluß beanstandet werden, mit dessen Aus- 
führung bereits begonnen ist. O. V. G., VI, 
S. 57, 68, 74; VII, S. 92, 118; X, S. 44. 
2 Vgl. oben S. 135. 
* Die Befugnis des rheinischen Bürger- 
meisters, die Beschlüsse der Stadtverordneten- 
versammlung zu beanstanden, ergiebt sich aus 
St. O. rb., §. 53, Z. 2, in Verb. m. Zust. G., 
#§. 15. Wenn in der St. O. rh., a. a. O., ebenso 
wie in der St. O. ö. und den anderen dieser 
nachgebildeten St. Ordugn. gesagt ist, der 
Bürgermeister ist verpflichtet, die Beschlüsse 
wegen Verletzung des Staats= und Gemeinde- 
wohls anzufechten, so ist das Wort „verpflichtet“ 
hier allerdings ebenso wie an den anderen 
Stellen jetzt unzutreffend, nachdem im Zust. G., 
§. 15, ausgesprochen ist, daß der Gemeinde- 
vorstand nur zur Beanstandung gesetz= oder 
kompetenzwidriger Beschlüsse angehalten werden 
kann. Denn eine rechtliche Verpflichtung zu 
einer Handlung liegt nur dann vor, wenn die- 
selbe erzwungen werden kann. Mit der erzwing- 
baren rechtlichen Verpflichtung ist aber noch 
nicht die moralische und das Recht des Bürger- 
meisters zur Beanstandung in Rede stehender 
Beschlüsse weggefallen. beldig scheint dies 
allerdings (S. 130 ff.) anzunehmen, indem er 
dem rheinischen Bürgermeister nur eine Bean- 
standung der Beschlüsse wegen Rechtsverletzung 
einräumt. 
Eine Gesetzesverletzung enthält jeder Be- 
schluß, welcher gegen den nach den Auslegungs- 
  
regeln ermittelten und festgestellten Sinn des 
Gesetzes und gegen die somit festgestellte gesetz- 
liche Norm verstößt; die unrichtige Anwendung 
eines Gesetzes ist auch Gesetzesverletzung. O. 
V. G., VII, S. 115. 
* Zust. G., §. 15, und dagegen Zust. G., §. 17, 
1 
* Das Verwaltungsstreitverfahren findet bei 
Beanstandung von Beschlüssen wegen Kom- 
petenzüberschreitung oder Gesetzesverletzung stets 
Anwendung und wird auch dadurch nicht 
ausgeschlossen, daß der betr. Beschluß nach 
der betr. St. O. der Zustimmung des Ma- 
istrats bedarf. Das O. V. G., XIV, S. 76, 
bat ausdrücklich die Ansicht verworfen, daß in 
solchen Fällen der Magistrat einfach seine Zu- 
stimmung verweigern könnte und dann das Ver- 
mittelungs- und Beschlußverfahren aus §. 17 des 
Zust. G. einzutreten habe. Vgl. auch O. V. G., 
XXI, S. 32. Ob Beschluß= oder Streitver- 
fahren vor dem Bez. A. stattfindet, richtet sich 
lediglich nach dem Grunde, aus welchem der 
Stadtvorstand die Ausführung verweigert. Das 
Wort „beanstanden“ in §. 15 des Zust. G. hat 
inhaltlich keine andere Bedeutung als die Worte 
„Zustimmung und Ausführung versagen“ in 
8. 66 der St. O. ö. und den entsprechenden §#. 
der anderen St. Ordugn. 
7 Die Verschiedenheit des Verfahrens recht- 
fertigt sich dadurch, daß die reine Zweckmäßig- 
keitsfrage, ob das Gemeinde= und Staatswohl 
verletzt wird, nicht Gegenstand des Streitver- 
fahrens, in welchem es sich lediglich um Rechts- 
fragen dreht, sein kann. — Hervorzuheben ist, 
daß die Beschlußfassung des Bez. A. nach §. 17, 
Z. 1 des Zust. G. nur da eintritt, wo bisber der 
Aufsichtsbehörde bei Meinungsverschiedenheiten 
die Beschlußfassung zustand. Dies war der Fall 
nach der St. O. ö. u. w., §§. 36, 56, Abs. 1, 
Z. 2, u. S. 57; rh., §. 53, Z. 2; frkf., §§. 46, 63, 
Abs. 1, 3. 2; hann., §. 107, Abs. 5 u. 6; G. O. 
kurh., §§. 83, 93, Abs. 14; G. O. sigm., 8. 129. 
— Neuerungen im materiellen Recht wie §. 15 
hat §. 17, Z. 1 des Zust. G. nicht eingeführt. 
Daher bleibt in Schleswig-Holstein, wo der 
Aufsichtsbehörde eine entsprechende Funden nicht 
zugewiesen ist, bei Meinungsverschiedenheiten,
	        
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