Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

2 Erster Abschnitt. (8. 1.) 
werden soll, jedoch nur der eine hat einen juristischen Charakter, während dem anderen 
lediglich politische Bedeutung zukommt. · 
Das Wort Selbstverwaltung ist eine Nachbildung des englischen Ausdruckes 
selsgovernment und weist schon durch diesen Ursprung darauf hin, daß England 
die Heimat dieser Verwaltungsform oder doch wenigstens einer bestimmten Art der- 
selben ist. 
Das englische selsgovernment, dessen Grundlagen bereits unbewußt in der nor- 
mannischen Zeit durch umfangreiche Heranziehung der Bevölkerung zu Verwaltungszwecken 
gelegt waren und dessen Fortbildung die Gesetzgebung seit der Magna Charta dauernd 
bewirkt hatte, stellt eine organische Verbindung des Staates mit den einzelnen Volks- 
genossen zur gemeinschaftlichen Verwaltung des Landes dar. Die Verwaltung wird 
geführt unter entscheidender Mitwirkung des Volkes bezw. seiner Vertreter, nicht allein 
durch einen vom Volke verschiedenen Träger der Staatsgewalt und durch unselbständige 
Gehilfen desselben. Dieses Prinzip ist anerkannt sowohl in der Central= wie in der 
Lokalverwaltung. Das englische, aus Wahlen hervorgegangene Parlament ist von vorn- 
herein etwas anderes als die Volksvertretung auf dem Kontinent; es ist nicht bloß 
Gesetzgebungskörper, sondern auch höchster Verwaltungskörper — seiner Zustimmung 
bedarf der König zu allen wichtigeren Staatsakten. In der Lokalinstanz zeigt sich das 
selsgovernment darin, daß in den Landschafts-, Kreis-, Stadt= und Dorfverbänden 
staatliche Funktionen der inneren Landesverwaltung, welche sich zu einer Handhabung 
durch das Personal und die Steuermittel des Nachbarverbandes eignen, wie der Ge- 
schwornendienst, die Verwaltung der Sicherheits= und Wohlfahrtspolizei, die Militär- 
aushebung, die Verteilung der Einquartierungs= und Vorspannpflicht, die Einschätzung 
der direkten Staatssteuern, die Verwaltung der Kommunalsteuern, die Verwendung des 
etwa vorhandenen kommunalen Stammvermögens u. s. w., nicht durch berufsmäßige 
Staatsbeamte, sondern durch Bürger, welche in rechtlicher wie wirtschaftlicher Hinsicht 
vom Staatsoberhaupte und seinen Behörden unabhängig sind, nach Maßgabe der be- 
stehenden Gesetze verrichtet werden.? Die Hauptträger dieses selfgovernment waren 
zunächst die Friedensrichter, in deren Händen sich die niedere Strafgerichtsbarkeit und 
Polizei befand. Sie wurden von der Krone ernannt, verwalteten ihre Stellen als 
Ehrenämter und fanden, unabhängig von jedem Einfluß der Centralbehörden, nur in 
den Gesetzen eine Schranke für die Ausübung ihrer Thätigkeit. Die Gesetzgebung häufte 
dann fortschreitend immer neue Funktionen auf die Friedensrichter, ordnete ihnen zu 
diesem Zwecke Constables, Armen= und Wegeaufseher unter und gelangte so zu einer 
geschlossenen Kreis= und Stadtverwaltung durch Ehrenämter.3 Eine erhebliche Bresche 
legte in dieses Verwaltungssystem aber die an die erste Reformbill vom Jahre 1832 
sich anschließende soziale Reformgesetzgebung, welche eine Neuregelung der unter der 
friedensrichterlichen Verwaltung stark vernachlässigten Gebiete der modernen Wohlfahrts- 
polizei, des Wege-, Gesundheits-, Schul= und besonders des Armenwesens in Angriff 
nahm. Es wurden zu diesem Ende, ohne Anschluß an die bestehenden städtischen oder 
ländlichen Kommunen, besondere Verwaltungsgemeinden für die einzelnen speziellen Ver- 
waltungszwecke (Armen-, Schul-, Wegeverbände) gebildet, mit den beratenden, vermögens- 
verwaltenden und steuerbewilligenden Funktionen wurden gewählte Gemeinderäte 
(boards), mit den Einzelgeschäften dagegen vom Verbande angestellte besoldete Beamte 
betraut, welche in Ausübung ihrer Funktionen durch staatliche Beamte, später durch eine 
besondere Kommunalaufsichtsbehörde, das local government board, kontrolliert wurden.“ 
Mit diesen Neuerungen, besonders mit Einführung des Repräsentationssystems, war das 
englische Verwaltungswesen dem kontinentalen näher gerückt, damit aber auch der Begriff 
des historischen englischen selsgovernment in wesentlichen Punkten modifiziert. 
  
formaler Begriffsbestimmung (Prag 1887). — Parlament vgl. bes. Gneist in v. Holtzendorffs 
Neukamp, Begriff der Selbstverwaltung, im Enchcelop., 5. Aufl., Anhang 2. 
Archiv f. öffentliches Recht, IV, S. 377 ff. Die 2 Gneist, Selfgovernment, S. 70 u. 882; 
beiden letztgenannten Schriften enthalten Zu= Kreisordnung, S. 8 ff. 
sammenstellungen der sehr verschiedenen Lehr- * Gneist, Verwaltung, Justiz, S. 91 ff. 
meinungen über den Begriff der Selbstverwaltung. * Gneist, Selfgovernment, S. 111 ff.; Kreis- 
1 L. v. Stein, S. 161 ff. Über das engl. ordnung, S. 11 ff.; Verwaltung u. s. w., S. 102ff.
	        
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