2 Erster Abschnitt. (8. 1.)
werden soll, jedoch nur der eine hat einen juristischen Charakter, während dem anderen
lediglich politische Bedeutung zukommt. ·
Das Wort Selbstverwaltung ist eine Nachbildung des englischen Ausdruckes
selsgovernment und weist schon durch diesen Ursprung darauf hin, daß England
die Heimat dieser Verwaltungsform oder doch wenigstens einer bestimmten Art der-
selben ist.
Das englische selsgovernment, dessen Grundlagen bereits unbewußt in der nor-
mannischen Zeit durch umfangreiche Heranziehung der Bevölkerung zu Verwaltungszwecken
gelegt waren und dessen Fortbildung die Gesetzgebung seit der Magna Charta dauernd
bewirkt hatte, stellt eine organische Verbindung des Staates mit den einzelnen Volks-
genossen zur gemeinschaftlichen Verwaltung des Landes dar. Die Verwaltung wird
geführt unter entscheidender Mitwirkung des Volkes bezw. seiner Vertreter, nicht allein
durch einen vom Volke verschiedenen Träger der Staatsgewalt und durch unselbständige
Gehilfen desselben. Dieses Prinzip ist anerkannt sowohl in der Central= wie in der
Lokalverwaltung. Das englische, aus Wahlen hervorgegangene Parlament ist von vorn-
herein etwas anderes als die Volksvertretung auf dem Kontinent; es ist nicht bloß
Gesetzgebungskörper, sondern auch höchster Verwaltungskörper — seiner Zustimmung
bedarf der König zu allen wichtigeren Staatsakten. In der Lokalinstanz zeigt sich das
selsgovernment darin, daß in den Landschafts-, Kreis-, Stadt= und Dorfverbänden
staatliche Funktionen der inneren Landesverwaltung, welche sich zu einer Handhabung
durch das Personal und die Steuermittel des Nachbarverbandes eignen, wie der Ge-
schwornendienst, die Verwaltung der Sicherheits= und Wohlfahrtspolizei, die Militär-
aushebung, die Verteilung der Einquartierungs= und Vorspannpflicht, die Einschätzung
der direkten Staatssteuern, die Verwaltung der Kommunalsteuern, die Verwendung des
etwa vorhandenen kommunalen Stammvermögens u. s. w., nicht durch berufsmäßige
Staatsbeamte, sondern durch Bürger, welche in rechtlicher wie wirtschaftlicher Hinsicht
vom Staatsoberhaupte und seinen Behörden unabhängig sind, nach Maßgabe der be-
stehenden Gesetze verrichtet werden.? Die Hauptträger dieses selfgovernment waren
zunächst die Friedensrichter, in deren Händen sich die niedere Strafgerichtsbarkeit und
Polizei befand. Sie wurden von der Krone ernannt, verwalteten ihre Stellen als
Ehrenämter und fanden, unabhängig von jedem Einfluß der Centralbehörden, nur in
den Gesetzen eine Schranke für die Ausübung ihrer Thätigkeit. Die Gesetzgebung häufte
dann fortschreitend immer neue Funktionen auf die Friedensrichter, ordnete ihnen zu
diesem Zwecke Constables, Armen= und Wegeaufseher unter und gelangte so zu einer
geschlossenen Kreis= und Stadtverwaltung durch Ehrenämter.3 Eine erhebliche Bresche
legte in dieses Verwaltungssystem aber die an die erste Reformbill vom Jahre 1832
sich anschließende soziale Reformgesetzgebung, welche eine Neuregelung der unter der
friedensrichterlichen Verwaltung stark vernachlässigten Gebiete der modernen Wohlfahrts-
polizei, des Wege-, Gesundheits-, Schul= und besonders des Armenwesens in Angriff
nahm. Es wurden zu diesem Ende, ohne Anschluß an die bestehenden städtischen oder
ländlichen Kommunen, besondere Verwaltungsgemeinden für die einzelnen speziellen Ver-
waltungszwecke (Armen-, Schul-, Wegeverbände) gebildet, mit den beratenden, vermögens-
verwaltenden und steuerbewilligenden Funktionen wurden gewählte Gemeinderäte
(boards), mit den Einzelgeschäften dagegen vom Verbande angestellte besoldete Beamte
betraut, welche in Ausübung ihrer Funktionen durch staatliche Beamte, später durch eine
besondere Kommunalaufsichtsbehörde, das local government board, kontrolliert wurden.“
Mit diesen Neuerungen, besonders mit Einführung des Repräsentationssystems, war das
englische Verwaltungswesen dem kontinentalen näher gerückt, damit aber auch der Begriff
des historischen englischen selsgovernment in wesentlichen Punkten modifiziert.
formaler Begriffsbestimmung (Prag 1887). — Parlament vgl. bes. Gneist in v. Holtzendorffs
Neukamp, Begriff der Selbstverwaltung, im Enchcelop., 5. Aufl., Anhang 2.
Archiv f. öffentliches Recht, IV, S. 377 ff. Die 2 Gneist, Selfgovernment, S. 70 u. 882;
beiden letztgenannten Schriften enthalten Zu= Kreisordnung, S. 8 ff.
sammenstellungen der sehr verschiedenen Lehr- * Gneist, Verwaltung, Justiz, S. 91 ff.
meinungen über den Begriff der Selbstverwaltung. * Gneist, Selfgovernment, S. 111 ff.; Kreis-
1 L. v. Stein, S. 161 ff. Über das engl. ordnung, S. 11 ff.; Verwaltung u. s. w., S. 102ff.