Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

Ortsgemeinden; das geltende Recht. (8. 48.) 187 
VII. Die Auflösung der Gemeindevertretung! ist in den alten Pro— 
vinzen und in Schleswig-Holstein, ohne an besondere materielle Voraussetzungen 
gebunden zu sein, zulässig und erstreckt sich in der Rheinprovinz naturgemäß nicht 
auf die aus eigenem Rechte zur Versammlung gehörenden Personen. Sie erfolgt durch 
königliche Verordnung, und zwar in den westlichen Provinzen nur auf Antrag des 
Staatsministeriums. Binnen sechs Wochen, in den westlichen Provinzen binnen 
sechs Monaten, vom Tage der Auflösungsverordnung ab gerechnet sind die Neuwahlen 
anzuordnen. Bis zur Einführung der Neugewählten beschließt an Stelle der Gemeinde- 
vertretung der Kreisausschuß. 
B. Der Gemeindevorstand. 
8. 48. 
1) Der rechtliche Charakter und die Zusammensetzung des Gemeindevorstandes; 
die Rechtsstellung seiner Mitglieder. 
I. Der Gemeindevorstand ist — abgesehen von der Rheinprovinz, wo er ledig- 
lich als ein Organ des Bürgermeisters erscheint — der Vertreter der Gemeinde nach 
außen und hat die Leitung der gesamten Gemeindeverwaltung wie die Ausübung obrig- 
keitlicher Funktionen den Gemeindeangehörigen gegenüber. Er ist eine Behörde, seine 
Mitglieder sind öffentliche Beamte. 
II. Der Gemeindevorstand ist regelmäßig nach dem Bureausystem organisiert. Er 
besteht aus dem Gemeindevorsteher und einer oder mehreren ihm beigeordneten Personen. 
Letztere bilden mit dem Gemeindevorsteher kein Kollegium, sie sind nur seine Gehilfen 
und erforderlichen Falles seine Vertreter." Der Gemeindevorsteher allein repräsentiert 
den Gemeindevorstand und verrichtet alle seine Funktionen nach eigener Entschließung. 
Nur in den größeren Gemeinden der östlichen Provinzen und Schleswig-Hol- 
steins kann durch Ortsstatut ein aus dem Gemeindevorsteher und diesen Beigeordneten 
bestehender kollegialischer Gemeindevorstand gebildet werden. 
Die Zahl der Beigeordneten ist in den einzelnen Rechtsgebieten eine verschiedene. 
In den östlichen Provinzen sollen dem Gemeindevorsteher, der hier auch „Schulze, 
Scholze, Richter, Dorfrichter“ genannt wird, mindestens zwei „Schöffen (Schöppen, 
Gerichtsmänner, Gerichts= oder Dorfgeschworene)“ zur Seite stehen. Durch Ortsstatut 
kann die Zahl derselben jedoch bis auf sechs vermehrt werden, und sie soll, wo sie zur 
Zeit der Emanation der neuen Landgemeindeordnung mehr als zwei, aber nicht mehr 
als sechs betrug, bis zu anderweiter ortsstatutarischer Festsetzung bestehen bleiben. Die- 
selben Grundsätze gelten in Schleswig-Holstein, nur daß hier mangels abweichender 
  
gleiche Pflicht der Bürger, deren Nichterfüllung 
keit der Gemeindevertretung wie auch die des 
Gemeindevorstehers nicht darauf, daß sie nach 
Zust. G., §. 27, Abs. 1, Z. 3 „über die Strafen, 
welche gegen Mitglieder der Gemeindevertretung 
wegen unentschuldigten Ausbleibens .“, sondern 
darauf, daß sie auch „Über die Nachteile, 
welche gegen Angehörige (Mitglieder) 
der Gemeinde wegen Richterfüllung 
der ihnen nach den Gemeindeverfas- 
sungsgesetzen obliegenden Pflichten“ 
zu verhängen sind, zu beschließen baben. Denn 
unter Gemeindevertretung im Sinne des Zust. G. 
ist der Gemeindeausschuß, nicht aber die Ge- 
meindeversammlung zu verstehen. Das Er- 
scheinen in der Gemeindeversammlung ist aber 
nach §. 45 der L. G. O. hann. eine den Ge- 
meindemitgliedern obliegende Pflicht. — Eine 
  
mit Etrafe bedroht ist, kennt das G. G. nass., 
8. 24. 
1 v. Möller, L., FS. 26. 
2 L. G. O. ö. u. schlesw.-holst., §. 142; w., 
#§. 82; Art. 28 des Ges. v. 15. Mai 1856; 
Zust. G., §. 33, Z. 3. 
s v. Möller, L., §§. 28 u. 29; Grotefend, 
88. 212 - 214. 
* Der Gemeindevorsteher muß sich nicht nur 
im Falle der Abwesenheit und Krankheit, son- 
dern nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen 
auch im Falle eines persönlichen Interesses ver- 
treten lassen, indem jeder Beamte sich von Amts- 
handlungen, welche sein persönliches Interesse 
berühren, fern zu halten hat. O. V. G., IV, 
S. 328.
	        
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