Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

Ortsgemeinden; das geltende Recht. (F. 51.) 195 
nahmen abgesehen bedarf jede Handlung des Gemeindevorstandes, welche er nicht in 
seiner Eigenschaft als Obrigkeit vornimmt, als Grundlage eines Beschlusses der Gemeinde- 
versammlung (Gemeindevertretung). In dieser Beschlußfassung erschöpfen sich aber nicht 
alle Funktionen der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung). Ihr steht auch die 
Überwachung der Gemeindeverwaltung zu; sie ist berechtigt, sich von der Ausführung 
ihrer Beschlüsse, von dem Eingange und von der bestimmungsgemäßen Verwendung 
aller Einnahmen der Gemeindekasse, sowie von der gehörigen Ausführung der Gemeinde- 
arbeiten Überzeugung zu verschaffen. 
2) In der Rheinprovinz und in Hannover ist die Kompetenz der Gemeinde- 
versammlung (Gemeindevertretung) eine beschränktere. Der Schwerpunkt der ganzen 
Gemeindeverwaltung liegt hier im Bürgermeister bezw. im Gemeindevorsteher. 
In der Rheinprovinz hat der Gemeinderat zwar auch über die Verwaltung des 
Gemeindevermögens und über die Art und Weise der Ausführung von Gemeindeanlagen 
und aanstalten zu beschließen, jedoch entscheidend und bindend für den Bürgermeister ist 
sein Beschluß nur bei Angelegenheiten, welche lediglich das besondere Interesse der 
Gemeinde und namentlich deren Vermögensverwaltung betreffen. Soweit es sich dagegen 
um Erfüllung von Pflichten der Gemeinden gegen den Staat, gegen Institute und gegen 
Privatpersonen handelt (z. B. bei Anlage und Unterhaltung von Polizei= und Armen- 
anstalten, in Angelegenheiten der Kirchen, Schulen, frommen Stiftungen u. s. w.), gilt 
sein Beschluß als ein bloßes Gutachten, welches nur so weit zu berücksichtigen, als es 
den Zwecken entsprechend und mit den allgemeinen Staatsgrundsätzen vereinbar ist.? 
Auch der Gemeinderat ist befugt, die Verwaltung zu kontrollieren und sich über die 
Ausführung seiner Beschlüsse, soweit diese überhaupt bindend sind und nicht nur den 
Charakter eines Gutachtens haben, Gewißheit zu verschaffen.? 
In Hannover endlich hat die Gemeindeversammlung (der Ausschuß) nur in den 
im Gesetz ausdrücklich bezeichneten Fällen, nämlich in den das Gemeindevermögen, die 
Anleihen, Prozesse, Abgaben, den Gemeindebezirk, die Verfassung, die Aufnahme neuer 
Gemeindemitglieder, die Angestellten und Diener, sowie das Gemeinderechnungswesen 
betreffenden Angelegenheiten zur Beschlußfassung zusammenzutreten. Im übrigen ist der 
Gemeindevorstand allein zu handeln befugt, es steht ihm jedoch frei, auch noch andere 
als die genannten Gegenstände an die Gemeindeversammlung (den Ausschuß) zu bringen, 
und er ist dann gleichfalls an ihre Beschlüsse gebunden. Die Kontrollbefugnisse der 
Gemeindeversammlung (des Tusschusses) beschränken sich hier im wesentlichen auf die 
Prüfung der Jahresrechnung.“ 
IV. Die Stellung der beiden Gemeindeorgane zu einander und ihr Zusammen- 
wirken bei der Verwaltung der Gemeinde läßt sich im allgemeinen dahin zusammen- 
fassen: Soweit der Gemeindevorstand nach den einzelnen Gemeindeverfassungsgesetzen 
an die Mitwirkung der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) gebunden ist, ist 
ein Beschluß derselben Voraussetzung für seine Thätigkeit. In dieser Thätigkeit 
wird er dann wieder von jener kontrolliert. Die Gemeindeversammlung ist zu diesem 
Zwecke berechtigt, sich in geeigneter Weise einen Einblick in den Geschäftsgang zu ver- 
schaffen und besonders die Gemeindeakten einzusehen.¾ Sie kann vorgefundene Nach- 
lässigkeiten und Pflichtverletzungen in der Amtsführung des Gemeindevorstandes dem 
Landrate anzeigen, und dieser hat selbst die geeigneten Maßregeln zur Herstellung einer 
geordneten Gemeindeverwaltung zu treffen, oder, falls im Wege des Prozesses gegen 
den Vorstand vorgegangen werden muß, der Gemeinde den Anwalt zu bestellen, welcher 
  
1 L. O. . u. schlesw.-holst., §§. 102, 103; 
„8. 3 
w. L. G. 2. rh., 88. 86, 87, Abs. 1, u. 88. 88, 100. 
2 Behufs Ausübung der Kontrolle kann der 
Gemeinderat Ausschüsse aus seiner Mitte er- 
nennen. 
1 L. G. O. hann., §. 41; M. Bek., 88. 36, 43. 
Nach §. 37 soll der Gemeindevorsteher in wich- 
tigen und zweifelhaften Fällen, welche sich gleich- 
wohl zur Verhandlung in der Gemeindeversamm- 
  
lung (dem Ausschusse) nicht eignen, sich mit dem 
oder den Beigeordneten oder mit einem dazu zu 
bestimmenden Mitgliede der Gemeindeversamm- 
lung (des Ausschusses) beraten. 
* L. G. O. rh., 8. 100. 
" In Westfalen ist der Landrat besonders 
auch befugt, die Einberufung einer Gemeinde- 
versammlung anzuordnen und in derselben den 
Vorsitz ohne Stimmrecht zu übernehmen. L. G. O. 
w., §. 80; rh., S. 114. 
13“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.