Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

196 Zweiter Abschnitt. (8. 52.) 
in ihrem Namen den Prozeß führen soll. Andererseits ist aber der Gemeindevorstand 
auch da, wo er auf Grund eines Gemeindebeschlusses handelt, nicht willenloses Exekutiv= 
organ der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung). Ihm steht eine Prüfung des 
ihm zur Ausführung überwiesenen Beschlusses zu, und zwar überall in Beziehung auf 
die Gesetzmäßigkeit, in den alten Provinzen und Schleswig-Holstein auch in 
Beziehung auf die Zweckmäßigkeit. 
Der Gemeindevorsteher, in den westlichen Provinzen auch der Amtmann bezw. 
der Bürgermeister sind verpflichtet, Beschlüsse der Gemeindeversammlung (Gemeinde- 
vertretung), welche deren Befugnisse Üüberschreiten oder die Gesetze verletzen, mit auf- 
schiebender Wirkung unter Angabe der Gründe zu beanstanden, und sie können hierzu 
eventuell von der Aufsichtsbehörde angewiesen werden. Gegen die Beanstandungs- 
verfügung steht der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) die Klage im Ver- 
waltungsstreitverfahren vor dem Kreisausschusse offen.? Hat dagegen die Gemeinde- 
versammlung (Gemeindevertretung) einen Beschluß gefaßt, welcher zwar nicht gesetz= oder 
kompetenzwidrig ist, nach Ansicht des Gemeindevorstehers, Amtmannes oder Bürger- 
meisters aber das Gemeinwohl oder das Gemeininteresse verletzt, so findet das förmliche 
Beanstandungsverfahren nicht statt. Der Gemeindevorsteher (Amtmann, Bürgermeister) 
hat vielmehr einfach die Ausführung des Beschlusses auszusetzen und in den östlichen 
Provinzen wie in Schleswig-Holstein, wenn die Gemeindeversammlung (Gemeinde= 
vertretung) bei nochmaliger Beratung bei ihrem Beschlusse beharrt, innerhalb zwei Wochen 
die Entscheidung des Kreisausschusses einzuholen. In den westlichen Provinzen ist 
eine nochmalige Beratung der Sache unter dem Vorsitze des Amtmanns bezw. Bürger- 
meisters nur dann erforderlich, wenn diese bei der Fassung des in Rede stehenden 
Beschlusses nicht anwesend waren. Anderenfalls ist sofort an den Landrat zu berichten, 
welcher die Verhandlungen dem Kreisausschusse zur Beschlußfassung vorzulegen hat, 
vorher aber die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) noch persönlich vernehmen 
und eine Einigung versuchen kann.“ 
8. 52. 
D. Die niederen Gemeindebehörden. 
Die Gemeindedeputationen wie die Dorf= und Bauerschaftsvorsteher (Nottmeister, 
Viertelmeister) haben nur in den Gemeindeordnungen der beiden westlichen Provinzen 
eine Regelung gefunden. Die Stellung und die Aufgaben beider sind dieselben wie die 
  
1 L. G. O.rh., §. 101. 
2 L. G. O. ö. u. schlesw.-holst., §. 140 (Kom- 
petent zur Beanstandung ist stets nur der Ge- 
meindevorsteher, dem kollegialisch gebildeten Ge- 
meindevorstande kann die Beanstandungsbefugnis 
nicht übertragen werden); w., §. 37; rh., §. 88; 
Zust. G., §. 29. Durch das Zust. G. ist das 
Beanstandungsverfahren, wo es bisher nicht be- 
stand (Hannover), neu eingeführt. 
2 L. G. O. ö. u. schlesw.--holst., §. 88, Abs. 3; 
w., §. 37; rh., §. 88. Zust. G., §. 33, Z. 1; 
dieser §. hat materiell kein neues Recht ge- 
schaffen, nur, wo bisher die Aufsichtsbehörde 
Meinungsverschiedenheiten zu entscheiden hatte, 
hat jetzt an ihrer Stelle der Kr. A. Beschluß zu 
fassen. Die Beschlußfassung desselben tritt daher 
außer im Gebiete der vier genannten L. G. 
Ordngn. nur noch in Kurhessen (G. O., 
§§. 83, 93, Abs. 1d) und in Hohenzollern- 
Sigmaringen (G. O., §. 129) ein. Die G. O. 
hech. gedenkt zwar in den §§. 59, 60 des Falles 
der hier in Betracht kommenden Meinungs- 
  
verschiedenheit, sieht aber keine Beschlußfassung 
der Aufsichtsbehörde vor. 
* Der Gemeindevorsteher, Amtmann, Bürger- 
meister können nicht, wie bei gesetz= oder kom- 
petenzwidrigen Beschlüssen, von der Aufsichts- 
behörde angewiesen werden, die Ausführung 
eines das Staats= oder Gemeindewohl ver- 
letzenden Beschlusses auszusetzen und das weitere 
Beschlußverfahren einzuleiten. Zust. G., §. 29, 
Abs. 2. Durch diese Vorschrift ist aber nicht die 
in den Gemeindegesetzen begründete Befugnis 
des Amtmanns oder Bürgermeisters, ibrerseits 
den Gemeindevorsteher zur Aussetzung der Aus- 
führung solcher Beschlüsse anzuweisen, berührt 
worden, denn diese Personen gehören nicht zu 
den Aufsichtsbehörden. — In der L. G. O. w., 
#§. 37 ist übrigens nicht ausdrücklich erwähnt, 
daß der Landrat vor Herbeiführung des Be- 
schlusses des Kr. A. noch persönlich die Gemeinde- 
versammlung hören kann; dies folgt jedoch aus 
80 
8. 80. 
5 v. Möller, L., 88. 33, 34.
	        
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