200 Zweiter Abschnitt. (8. 54.)
Bierter Titel.
Der Wirkungskreis der Ortsgemeinden.
Vorbemerkung: Der Wirkungskreis der Stadtgemeinden deckt sich in allen wesentlichen
Punkten mit dem der Landgemeinden. Rechtlich sind beide Arten der Ortsgemeinden zur Ent-
wickelung derselben Thätigkeit berufen, thatsächlich wird natürlich die der städtischen Gemeinden
eine umfassendere sein als die der ländlichen. Die folgenden rechtlichen Ausführungen gelten
daher, wenn nichts Besonderes bemerkt ist, für die Landgemeinden ebenso wie für die Stadt-
gemeinden. Die Beifügungen in Parenthese geben die abweichenden Zuständigkeiten für die Land-
gemeinden an.
Erstes Stück.
S. 54.
Im Allgemeinen.!
I. Der Wirkungskreis der Gemeinde ist ihrem Charakter als Selbstverwaltungs-
körper gemäß derjenige Kreis staatlicher Geschäfte, zu deren Verrichtung sie durch Rechts-
vorschriften berufen, d. h. verpflichtet oder auch nur berechtigt ist.? Soweit die Gemeinde
Staatsaufgaben übernehmen muß, kann der Staat sie eventuell zur Erfüllung ihrer
Pflichten zwangsweise anhalten, soweit sie zur Wahrnehmung solcher nur berechtigt
ist, hat der Staat nur darauf zu sehen, daß sie ihre Kompetenzen nicht überschreitet.
In beiden Teilen ihres Wirkungskreises, in dem freiwillig übernommenen wie in dem
gesetzlich auferlegten, kommt der Gemeinde ein größerer oder geringerer Grad von
Selbständigkeit zu. Ihre Thätigkeit ist nur an gesetzliche Vorschriften gebunden, die bald
eine eingehendere Regelung derselben enthalten, bald nur eine Schranke für sie bilden
wollen — sie ist nicht einer bestimmenden Leitung durch staatliche Behörden unterworfen;
biese können in sie nur in Ausübung der allgemeinen Staatsaufsicht eingreifen, um
die Erfüllung gesetzlicher Vorschriften zu erzwingen.
Von diesem der Gemeinde als solcher zur selbständigen Besorgung überwiesenen
Geschäftskreise ist derjenige Kreis von Aufgaben zu unterscheiden, welcher vom Staate
ein zelnen Beamten der Gemeinde kraft besonderen Auftrages, und zwar meist
widerruflich übertragen wird. In Bezug auf diesen gelten die städtischen Behörden als
unmittelbare Organe des Staates und haben lediglich nach den Anweisungen und Dienst-
befehlen der vorgesetzten Staatsbehörden zu verfahren. Solche Angelegenheiten gehören
überhaupt gar nicht zum Wirkungskreise der Gemeinde; diese ist hier nur insoweit
beteiligt, als sie verpflichtet ist, dem Staate in ihren Organen geeignete Träger für
die betreffenden Staatsaufgaben zu stellen.
II. Der Wirkungskreis der Gemeinden ist heute noch nach denselben Gesichts-
punkten abgegrenzt, welche bei der Städteordnung von 1808 maßgebend waren. Die
Thätigkeit der Gemeinde ist vorwiegend Verwaltung im engeren Sinne; Gesetzgebung
übt sie nur in Form einer beschränkten Autonomie", und auch von der Teilnahme an
der Rechtspflege ist sie, abgesehen davon, daß in neuerer Zeit mehrfach städtische Organe
mit der Schlichtung von Streitigkeiten unter Gemeindeangehörigen im Schiedsverfahren
betraut sind, ausgeschlossen.¾ Aber auch die Verwaltung im engeren Sinne kann nicht
1 Leidig, S. 184 ff.; Löning, Verwal-
tungsrecht, §. 38; Blodig, Selbstverwaltung,
S. 190—211.
2 Löning, S. 180; Blodig, Selbstverwal-
tung, S. 33, 34, 209.
Vgl. auch Blodig,
S. 210.
* Vgl. hierüber oben S. 65 ff.
Selbstverwaltung,
* Näheres hierüber bei Leidig, S. 347—
358; Steffenhagen, §. 91; Schmitz, §. 75.
— Nach der Schiedsmannsordnung v. 29. März
1879 (G. S., S. 321; Komm. von Flor-
schütz (11. Aufl., Berlin 1889]) müssen für
jeden Gemeindebezirk oder für mehrere zu
einem Bezirk vereinigte Gemeinden Schieds-
männer und Stellvertreter auf je drei Jahre