260 Zweiter Abschnitt. (§. 67.)
V. Einer besonderen Erörterung bedarf noch das Verhältnis der die Beiträge
betreffenden Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes zu den entsprechenden Vorschriften
des Gesetzes, betreffend die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in
Städten und ländlichen Ortschaften v. 2. Juli 1875 (G. S., S. 561).1
Nach diesem Gesetze kann durch Ortsstatut bestimmt werden, daß
1) bei Anlegung einer neuen Straße,
2) bei Verlängerung einer schon bestehenden Straße, und
3) bei Anbau an schon vorhandene, bisher unbebaute Straßen und Straßenteile?
„von den Unternehmern der neuen Anlage oder von den angrenzenden Eigentümern —
von letzteren, sobald sie Gebäude an der neuen Straße errichten — die Freilegung,
erste Einrichtung, Entwässerung und Beleuchtungsvorrichtung der Straße in der dem
Bedürfnisse entsprechenden Weise beschafft, sowie deren zeitweise, höchstens jedoch fünf-
jährige Unterhaltung, bezw. ein verhältnismäßiger Beitrag oder der Ersatz der zu allen
diesen Maßnahmen erforderlichen Kosten geleistet werde. Zu diesen Verpflichtungen können
die angrenzenden Eigentümer nicht für mehr als die Hälfte der Straßenbreite und, wenn
die Straße breiter als 26 Meter ist, nicht für mehr als 13 Meter der Straßenbreite
herangezogen werden. Bei Berechnung der Kosten sind die Kosten der gesamten Straßen=
anlage und bezw. deren Unterhaltung zusammenzurechnen und den Eigentümern nach
Verhältnis der Länge ihrer die Straße berührenden Grenze zur Last zu legen.“ (§. 15.)7
Diese Vorschriften bleiben nach §. 10 des Kommunalabgabengesetzes in vollem Um-
fange in Kraft, nur sollen fernerhin die Beiträge auch nach einem anderen als dem im
letzten Satze angegebenen Maßstabe (der Länge der die Straße berührenden Grundstücks-
grenze), insbesondere auch nach der bebauungsfähigen Fläche, bemessen werden dürfen.
Das heißt offenbar, wie auch in den Landtagsverhandlungen wiederholt betont wurde,
daß da, wo das Gesetz v. 2. Juli 1875 Anwendung findet, Straßenbaubeiträge nur
nach den Vorschriften dieses Gesetzes, nicht aber nach anderweiten Bestimmungen, besonders
auch nicht auf Grund des Kommunalabgabengesetzes erhoben werden dürfen, und zwar
weder da, wo Beiträge nach den Vorschriften des Gesetzes von 1875 erhoben werden
wollen. — Die Ansicht der Komm. des H. H. ist
aus den Worten des Gesetzes. Gegen sie
in die Ausf. Anw. übergegangen. Art. 7, Z. 4:
spricht aber direkt auch die Vorschrift des K. 4,
Abs. 2. Hier ist bestimmt, daß, „wenn die Ver-
anstaltung einzelnen Gemeindeangehörigen oder
einzelnen Klassen von solchen vorzugsweise zum
Vorteile gereicht, und soweit die Ausgleichung
nicht durch Beiträge (§. 9) oder durch eine Mehr-
oder Minderbelastung (F. 20) erfolgt“, Gebüh-
ren zu erheben sind, und zwar in der Regel in
einer die Gesamtkosten deckenden Höhe. Es
sollen also die Kosten solcher Veranstaltungen in
der Regel ganz den Interessenten auferlegt wer-
den, und ihre Deckung soll, soweit sie nicht
bereits durch Beiträge oder Mehrbelastungen
erfolgt ist, durch Gebühren erfolgen. Daraus
ergiebt sich unzweifelhaft, daß die Gesamtkosten
ganz durch Beiträge gedeckt werden können.
Wäre die Ansicht des Herrenhauses richtig, so
müßten in diesen Fällen, wenn Beiträge erhoben
werden, außerdem noch Gebühren erhoben werden,
um den durch erstere nicht deckbaren Kostenanteil
zu decken. Daß das Gesetz ein solch kompli-
ziertes Deckungsverfahren vorschreiben wollte,
ist mangels ausdrücklicher Bestimmung nicht an-
zunehmen; Gebühren, Beiträge und Mehr-
belastungen sind die drei Mittel, durch welche
die Gemeinden sich Deckung, und zwar volle
Teckung, für gewisse Ausgaben verschaffen
können; ihrer freien Entschließung ist es über-
lassen, ob sie durch jedes dieser Mittel einzeln
oder durch Verbindung des ersten mit einem der
beiden anderen die Kestendeckung herbeiführen
„Die Beitragsleistung darf sich niemals auf den
gesamten Kostenbedarf einer Veranstaltung er-
strecken. Vielmehr ist der dem öffentlichen Interesse
entsprechende Teil des Kostenbedarfs einer Ver-
anstaltung aus den zur Bestreitung der allge-
meinen Ausgaben bestimmten Einkünften der
Gemeinde und nur der hiernach verbleibende
Restbetrag durch Beiträge zu decken.“ Diese
Vorschrift mag den Anforderungen der Billig-
keit entsprechen, sie entspricht aber nicht dem
Gesetz; sie beschränkt die Gemeinden im Gebiete
ihrer Selbstverwaltung weiter als das Gesetz
und ist daher für sie nicht bindend. Für die
Richtigkeit dieser von uns bekämpften Auslegung
des Ges. spricht sich aus Nöll, S. 21, Anm. 8.
Dagegen: Strutz, S. 50, Anm. 10; Adickes,
S. 259, Abs. 2, u. S. 289, Anm. 2.
1 Hierüber sehr eingebend Adickes, S. 294 ff.;
kürzer Nöll, S. 23 ff.; Ausf. Anw., Art. 7, Z. 5;
auch Friedrichs, Das Gesetz, betreffend die An-
legung u. s. w. (in der 3. Aufl., Berlin 1894),
S. 140—142. Es handelt sich im Folgenden
nur um eine kurze Angabe der Hauptpunkte.
Eine eingehende Erörterung des Verhältnisses
des §. 10 zu den §§. 9 u. 20 des K. A. G. und
der unzähligen sich hieran knüpfenden Streit-
fragen und Bedenken ist hier ausgeschlossen.
!* Friedrichs, S. 115, Anm. 2.
Uber alle Einzelheiten dieser Bestimmungen
vgl. die Anmerkungen bei Friedrichs.