Ortsgemeinden; das geltende Recht. (G. 67.) 261
können, noch da, wo die Erhebung solcher mit der ratio dieses Gesetzes unvereinbar
erscheint, denn für sein Anwendungsgebiet regelt das Gesetz positiv wie negativ erschöpfend
die Erhebung von Beiträgen.I Wo sein Anwendungsgebiet aber aufhört, da treten
die allgemeinen Bestimmungen ein, denn das Gesetz hat nicht vorgeschrieben, daß jede
Erhebung von Straßenbaubeiträgen über den Rahmen des §. 15 hinaus unzulässig
sei. Das Gesetz regelt die Erhebung von Beiträgen nur in den drei oben erwähnten
Fällen, also nur bei neuen Straßen, sei es, daß es sich um ganz neu angelegte oder
wenigstens um neu anzubauende handelt.: Hier dürfen nach wie vor zu Beiträgen für
den Straßenbau nur die Anlieger herangezogen werden, und auch diese nur, sofern
sie ein Gebäude an der Straße erst nach ihrer Anlegung errichten 3 und soweit die
halbe Straßenbreite 13 Meter nicht übersteigt. Eine Heranziehung von Eigentümern
der schon bei Anlegung neuer Straßen bebauten Grundstücke oder eine Heranziehung
von Nichtanliegern würde dem §. 15 des Gesetzes von 1875 widersprechen und ist daher
auch auf Grund des §. 9 des Kommunalabgabengesetzes unzulässig, wenngleich auch diese
Personen aus der Anlegung der Straße einen wirtschaftlichen Vorteil haben können."
Das Gesetz von 1875 findet dagegen, wie das Oberverwaltungsgericht bereits wieder-
holt entschieden hat, keine Anwendung auf bestehende sogen. „historische“ Straßen. Die
Kosten der Unterhaltung dieser, und besonders die der unter eigentümlichen Verhältnissen
stehenden Bürgersteige, welche früher durch besondere die Adjacenten prägrapierende Real-
steuern trotz des §. 15 aufgebracht werden konnten 6, werden jetzt, nach Beseitigung der
letzteren, durch Beiträge' der aus der Anlage einen Vorteil ziehenden Grundbesitzer nach
§. 9 des Kommunalabgabengesetzes gedeckt werden können; dasselbe gilt bezüglich der bei
Straßenerweiterungen entstehenden Kosten, für welche das Gesetz von 1875 bisher
versagte.2
In enger Verbindung mit den eben erörterten Fragen steht die Frage nach dem
1 Durch §. 19 des Ges. werden alle Er-
hebungen von Beiträgen, die mit §. 15 unver-
einbar sind, für unzulässig erklärt. Über das
Verhältnis des Ges. von 1875 zum K. A. G.
äußerte sich die Staatsregierung nach dem
Komm. Ber.: „Nach der Absicht des Gesetzent-
wurfs solle überall da, wo es sich um die Ver-
änderung oder die Anlage von Straßen und
Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften
handele, ausschließlich das Ges. v. 2. Juli 1875
maßgebend sein. Darüber hinaus dürften daher
Beiträge für Anlegung und Veränderung von
Straßen u. s. w. nicht erhoben werden. In
dem Gesetzentwurfe sei nach der positiven und
der negativen Seite festgestellt, daß an diesem
Gesetze — abgesehen von dem Schlußsatze des
§. 10, betr. die Anwendung eines anderweiten
Maßstabes — nichts geändert werden solle.“ Die
weiteren Folgerungen hieraus zog der Finanz-
minister, welcher im H. H., ohne Widerspruch
zu finden, bemerkte: „Wir haben in der Komm.
seitens der Staatsregierung betont, daß man
zuerst feststellen mins , ob auf den gegebenen
Fall das Ges. v. 2. Juli 1875 überhaupt An-
wendung finde, dabei aber sich nicht damit be-
gnügen könne, nur zu sehen, welche positiven
Bestimmungen das Gesetz enthält, sondern man
müsse auch untersuchen, welche negativen Be-
stimmungen das Gesetz nach seiner ganzen ratio
enthält, d. h. in welchem Falle nach der Ansicht
des Gesetzes Beiträge seitens der Anlieger für
die Veränderung und Herstellung neuer Straßen
nicht erboben werden sollen. Soweit dies im
einzelnen Falle klargestellt ist, dürfen nach der
Auffassung der Staatsregierung besondere Bei-
träge seitens der Gemeinden nicht erhoben wer-
den. Kommen dagegen Fälle vor, auch in Be-
ziehung auf Straßen und deren Unterhaltung,
Trottoir, wo man sagen muß: auf diese ga e
hat das Ges. v. 2. Juli 1875 überhaupt keine
Anwendung, ja, da liegt die Sache ganz anders,
da tritt die allgemeine Bestimmung in Bezug
auf die Beschlußfassung der Gemeinde über Bei-
träge in Kraft.“ Stenogr. Ber. des H. H.,
S. 316.
2 Friedrichs, S. 162, Abf. 3.
2 Eigentümer solcher Gebäude, welche be-
reits vor Anlage der Straße errichtet waren,
sind nicht beitragspflichtig. O. V. G., III,
S. 292. Eigentümer unbebauter Grundstücke
werden erst beitragspflichtig, wenn sie zur Be-
bauung schreiten. O. V. G., XII, S. 126.
* Adickes, S. 299 ff.; Friedrichs, S. 141,
Abs. 2; Ausf. Anw., Art. 7, Z. 5, letzter Satz.
" Uber den Begriff der „bistorischen“ Straßen
und über die Anwendbarkeit des Ges. v. 2. Juli
1875 vgl. O. V. G., V, S. 391; VI. S. 219;
IX, S. 318; XV, S. 149; XXIV. S.7, und
öV, S. 345; XVIII, S. 385; XXII, S. 77;
Friedrichs, S. 86 ff., Anm. 5b, und S. 120,
nm. 3.
" O. V. G., XIII, S. 473, und XVI, S. 52.
Vgl. auch Friedrichs, S. 162, Abs. 3, und
die dort cit. Entscheidungen; Adickes, S. 264,
265, 299.
* An Stelle der Beiträge können auch Mehr-
belastungen im Sinne des §. 20, Abs. 2 des
K. A. G. treten, besondere Realsteuern scheinen
dagegen im Hinblick auf §. 20, Abs. 1 des K.
A. G. fernerhin unzulässig.
s Friedrichs, S. 89, Anm. 5 b, letzter Abf.,
und S. 120, Anm. 3.