Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

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Ortsgemeinden; das geltende Recht. 
angenommen, daß sie als legitimiert zu erachten sei, im Streitverfahren über Zwangs- 
etatisierungen ihre Rechte und damit auch die Rechte der Gemeinde an Stelle oder 
neben dem Magistrate zu wahren.I Was den Unfang der richterlichen Prüfung im 
Streitverfahren anlangt, so beschränkt sich diese nicht auf die formelle Berechtigung 
zur Zwangsetatisierung, sondern muß sich auch auf das Vorhandensein der materiellen 
Voraussetzungen derselben erstrecken; zu den Voraussetzungen gehört vor allem die Fest- 
stellung, auch diese muß der Verwaltungsrichter nachprüfen, aber dem Wesen der Rechts- 
kontrolle entsprechend nicht auf ihre Angemessenheit, Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit, 
sondern nur dahin, ob sie gesetz= oder rechtswidrig ist, weil ihr positive Rechtsnormen 
entgegenstehen, dder weil bei ihr in objektiver Beziehung kommunale Interessen überhaupt 
nicht obwalten.? 
Als außerordentlichen Ausfluß des staatlichen Aufsichtsrechts kann man endlich die 
nach mehreren Gemeindeverfassungsgesetzen zulässige Auflösung der Gemeindevertretung 
ansehen, deren Voraussetzungen und Formalitäten oben S. 117 ff. und 187 bereits 
erörtert sind. 
Sechster Titel. 
§. 95. 
Die Gutsbezirke. 
I. Begriff, Entstehung und Aufhebung der Gutsbezirke. 
Auf dem platten Lande stehen in einem großen Teile der Monarchie neben den 
Gemeinden als unterste Bezirke für die örtliche Staats= und Kommunalverwaltung die 
selbständigen Gutsbezirke, d. h. räumlich abgegrenzte Gebiete, deren Territorien 
und deren Bewohner nicht durch einen Gemeindeverband zusammengehalten werden, son- 
dern der obrigkeitlichen Gewalt eines Gutsherrn unterworfen sind.“ Innerhalb eines 
solchen Gebietes hat der Gutsherr alle Pflichten und Leistungen zu erfüllen, welche im 
Gemeindebezirk der Gemeinde als Gesamtheit obliegen; der Gutsherr ersetzt für seinen 
Gutsbezirk den Gemeindeverband, er allein kann sich berechtigen und verpflichten. — 
Der Gutsbezirk ist lediglich Bezirk für die Verwaltung, er ist kein Verband 5, er hat 
keine korporative Verfassung. Der Begriff des Gutsbezirks ist aber ein lediglich öffent- 
lich-rechtlicher, daher ist er unabhängig von privatrechtlichen Verhältnissen. Der Guts- 
bezirk deckt sich gewöhnlich räumlich mit dem Gute, an dessen Besitz die Gutsherrlichkeit 
haftet, notwendig ist dies aber nicht; es können auch Grundstücke, welche nicht im Eigen- 
tum des Gutsherrn stehen, zum Gutsbezirk gehören. Der Bestand des Gutsbezirks ist 
daher unabhängig von Veränderungen der Eigentumsverhältnisse an dem Grund und 
Boden: außerhalb des Gutsbezirks in einem Gemeindebezirk belegene Grundstücke, an 
welchen ein Gutsherr Eigentum erwirbt, scheiden dadurch nicht aus dem Gemeindebezirk 
  
dorffs Encyklopädie (5. Aufl.), S. 1178, 1179; 
1 O. V. G., XIX, S. 112. Die Frist für 
die Anstellung der Klage läuft aber mangels 
besonderer anderweiter Bestimmung auch für die 
Gemeindevertretung mit der Zustellung der 
Zwangsetatisierungsverfügung an den Ge- 
naewinevorstand ab. Vgl. auch O. V. G., XIV, 
. 89. 
2 O. V. G., XIV, S. 107; ruch 7, S. 73; 
XIII, S. 61, 68, und XX, S. 6 
6 Zum Folgenden vgl. Kisnbenl- Genzmer, 
Entstehung u. Rechtsverhältnisse der Gutsbezirke, 
S. 30 ff.; Schulze, Preuß. Staatsrecht, I1, 
S. 495; v. Möller, L., §. 135; Grotefend, 
§. 220; E. v. Meier, Verw. R., in Holtzen= 
  
v. Stengel, Organisation. S. 234 ff., und in 
v. Stengels Wörterbuch, I, S. 618, s. v. „Guts- 
bezirk“; Blodig, Selbstverwaltung, S. 267 ff. 
B0gl. oben S. 68. 
* Wenn das O. V. G., I, S. 110 den Guts- 
bezirk gleich der Gemeinde als einen „kommu- 
nalen Verband“ bezeichnet, so halte ich diese 
Bezeichnung für unzutreffend. Dem Gutsbezirk 
fehlt das Eigentümliche jedes Verbandes, das 
Verbundensein der Mitglieder untereinander. 
*Gesetzlich anerkannt besonders in §F. 8 des 
preuß. Ausf. Ges. zum Unterstützungswohnsitz- 
gesetz v. 8S. März 1871 (G. S., S. 130). 
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