Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

346 Zweiter Abschnitt. (F. 96.) " 
herr eine öffentlich-rechtliche Stellung, er war der Träger der öffentlichen Rechte und 
Pflichten für den Gutsbezirk. Daher ist „der Besitzer des Gutes“ im Sinne der 
neueren Kommunalgesetzgebung identisch mit dem Gutsherrn des älteren Rechtes, und 
noch heute sind die in diesem älteren Rechte entstandenen Grundsätze für die Frage maß- 
gebend, wer in einem Gutsbezirk „Besitzer des Gutes“ ist. 
Der normale Rechtszustand, welcher der historischen Entwickelung der Gutsbezirke 
entspricht und es rechtfertigt, daß der Gutsherr allein alle öffentlichen Lasten für seinen 
Gutsbezirk trägt, ist der, daß der privatrechtliche Eigentümer des einen Gutsbezirk bil- 
denden Gutes auch der Besitzer dieses Gutes im öffentlich -rechtlichen Sinne ist. In 
Wirklichkeit liegen die Verhältnisse jedoch vielfach anders. Da der Gutsherr durch 
private Dispositionen über den Grund und Boden des Gutsbezirks weder diesen als 
kommunalen Bezirk verändern, noch sich seiner öffentlichen Rechte und Pflichten ent- 
ledigen kann, so deckt sich häufig nicht das Gebiet, welches im privatrechtlichen Eigentume 
des Gutsherrn steht, mit dem, für welches er der Träger öffentlicher Rechte und Pflichten 
ist.“ Entsteht in einem Gutsbezirk durch Abverkäufe eine Zersplitterung der Eigentums- 
verhältnisse, so zieht diese nicht auch eine verhältnismäßige Zerteilung der gutsherrlichen 
Rechte und Pflichten nach sich, letztere bleiben vielmehr für den ganzen, ehemals auch 
privatrechtlich ungeteilten Gutsbezirk dem Eigentümer des Restgutes.3 
Gutsherr können natürlich nicht nur physische, sondern auch juristische Personen 
sein — insbesondere nehmen der Fiskus, Stadtgemeinden und Stifter häufig eine solche 
Stellung ein — und die Gutsherrschaft dieser kann infolge der Veräußerung des gesamten 
Grundbesitzes im Wege der Parzellierung sogar ohne Grundeigentum im Gutsbezirk 
fortbestehen: Sind alle Parzellen eines solchen Gutsbezirks unter Vorbehalt der guts- 
herrlichen Rechte veräußert worden, sodaß keine Parzelle als Restgut angesehen werden 
kann, so bleibt die betreffende juristische Person Gutsherr dieses Bezirks und hat alle 
gutsherrlichen Lasten in ihm zu tragen, soweit nicht hinterher einzelne Parzellen zu 
selbständigen Gutsbezirken erhoben sind." 
II. Der Besitzer des Gutes ersetzt für den Gutsbezirk völlig den Gemeindeverband. 
Er hat daher die kommunalen Lasten in diesem Bezirk aus seinen Privatmitteln zu 
bestreiten und vereinigt gleichzeitig in sich die Funktionen der Kommunalorgane, des Ge- 
meindevorstandes und der Gemeindeversammlung. Daraus ergiebt sich, daß er alle 
inneren Angelegenheiten seines Bezirks selbständig zu verwalten hat; er braucht niemals 
die Zustimmung der Gutsangehörigen einzuholen, sondern kann stets nach seinem freien 
Ermessen handeln, in welchem er nur durch die Gesetze und die Anordnungen der vor- 
gesetzten Behörden beschränkt ist. 
In seiner Eigenschaft als Stellvertreter des Gemeindevorstandes im Gutsbezirk hat 
der Besitzer des Gutes obrigkeitliche Funktionen auszuüben und wird als Guts- 
vorsteher bezeichnet. Diese Gutsvorsteherschaft soll sich zwar prinzipiell mit der Guts- 
besitzerschaft decken, häufig ist dies jedoch nicht der Fall, denn der „Besitzer des Gutes“ 
wird zur Gutsvorsteherschaft nur dann zugelassen, wenn er gewisse persönliche Eigen- 
schaften hat, und zwar im allgemeinen diejenigen, welche das Gesetz von dem Gemeinde- 
vorsteher fordert. Der Besitzer des Gutes übt die obrigkeitlichen Funktionen des Guts- 
  
1 O. V. G., 1, S. 202; Genzmer, S. 51 
u. 52; Freytag, Komm. zur L. G. O., S. 274, 
Anm. 4 
Schwierigkeiten bereiten. Es lassen sich indes 
hierüber allgemeine Anweisungen nicht wobl 
geben, vielmehr wird die Entscheidung nach den 
in jedem konkreten Falle obwaltenden besonderen 
2 Vgl. oben S. 339. 
* „Der Restgutsbesitzer, welcher dem Staat 
gegenüber die Verpflichtung für die Erfüllung 
der kommunalen Leistungen des Gutsbezirks 
trägt, ist zugleich der Repräsentant des Guts- 
bezirks bezw. der angesessenen und nicht ange- 
sessenen Einwohner desselben in Ausübung 
öffentlicher Rechte, also insbesondere auch des 
Wahlrechts zum Kreistage“ Die Beantwortung 
der Frage, „wer als Restgutsbesitzer und Träger 
der öffentlichen Rechte und Pflichten des Guts- 
bezirks anzusehen ist", wird „unter Umständen 
  
Verhältnissen getroffen werden müssen“. Z. 8 des 
die M. Instr. betr. Zusammensetzung des Kreis- 
tages begleitenden Cirkulars v. 10. März 1873, 
abgedr. bei v. Brauchitsch, II (13. Aufl., 
Berlin 1896), S. 311. Vgl. auch O. V. G., 
XVI, S. 250. 
1 O. V. G., I, S. 147, bes. S. 154 ff.; VIII, 
S. 90; Genzmer, S. 29 u. 52. Über die 
Domänen und Forsten als fiskalische Gutsbezirke 
vgl. Genzmer, S. 22 ff. und die daselbst citier- 
ten Entscheidungen des O. V. G.
	        
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