Kreisgemeinden; geschichtliche Entwickelung der Kreisgemeinden. (8. 102.) 365
Umfangreiche und geistreiche Pläne zur Reform der bestehenden Kreisverwaltung
wurden unter Steins Ministerium ausgearbeitet 1, keiner gelangte jedoch zu einer prak-
tischen Bedeutung. Der Hauptgrund hierfür war der plötzliche Rücktritt Steins von der
Leitung der Geschäfte. Die nach ihm fortgesetzten Reformarbeiten zeitigten das sogen.
Gendarmerieedikt v. 30. Juli 1812 (G. S., S. 141), welches in seinem ersten Teile eine
Kreisverfassung enthielt ?; allein dieses Edikt ist, soweit es sich auf die Kreisverfassung
bezog, niemals zur Ausführung gelangt. — So blieb es noch lange bei den hergebrachten
Berhältnissen auf dem platten Lande, die in dem modernen Staate neben einer Städte-
ordnung von 1808 als „das Überbleibsel einer untergegangenen Gesellschaftsordnung“
erscheinen mußten.
II. Die Gesetzgebung ruhte bis zur Beendigung der Freiheitskriege, erst die Ver-
ordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden v. 30. April 1815
(G. S., S. 85), welche eine gleichmäßige Kreiseinteilung des restaurierten Staates
herbeiführen wollte, brachte wieder einige, wenn auch nur sehr spärliche Vorschriften
über die Kreisverfassung: Jeder Regierungsbezirk sollte in möglichst engem Anschluß an
die früheren Verhältnisse in Kreise eingeteilt werden, und jeder Kreis alle in seinen
Grenzen belegenen Ortschaften umfassen, nur die ansehnlichen Städte sollten von dem
Krcisverbande ausgenommen sein und eigene Kreise (Stadtkreise) bilden. An der Spitze
jedes Kreises sollte ein Landrat stehen. Bisher zulässige Ausnahmen hiervon, wonach
größere Kreise mehrere Landräte und andererseits mehrere kleinere Kreise einen Landrat
gemeinsam hatten, wurden mit der neuen gleichmäßigen Kreiseinteilung beseitigt. Der
Landrat erscheint nach dieser Verordnung lediglich als unmittelbarer Staatsbeamter; er wird
als das Organ bezeichnet, „dessen sich die Regierung zur Vollziehung ihrer Verfügungen
bedient“. ÜUber die Stellung der Landräte und ihres Unterpersonals erging sodann auf
Grund des §. 39 der Verordnung noch eine vorläufige Instruktion unterm 11. Juni
1816“, deren wichtigste Vorschriften sich auf die Wahl und Anstellung der Landräte be-
zogen und diese dahin regelten, daß die Versammlung der Kreisstände der Regierung aus
den Gutsbesitzern des Kreises für den erledigten Landratsposten drei qualifizierte Kandi-
daten in Vorschlag bringen, und der König dann einen aus diesen ernennen sollte. Nähere
Bestimmungen über die Qualifikation und den Geschäftskreis der Landräte traf endlich die
„Instruktion für die Landräte und die ihnen untergeordneten Kreisoffizianten“ v. 31. Dez.
1816, welche durch Ministerialreskript v. 24. Nov. 1822 den Regierungen mitgeteilt wurde;
auch sie behandelt die Landräte lediglich als Staatsdiener und Kommissarien der Regie-
rungen. Die königliche Sanktion und damit Gesetzeskraft hat diese Instruktion niemals
erhalten, sie ist jedoch für die Landräte als Geschäftsinstruktion noch heute bindend.
1 Vgl. E. Meier, S. 357—422; v. Stengel,
Organisation, S. 87.
Dieses Edikt beabsichtigte die gänzliche Be-
seitigung der alten kreisständischen Verfassung
mit dem Institute der Landräte. Das ganze
Land sollte in geographisch abgerundete mög-
lichst gleiche Kreise eingeteilt werden und die
Einteilung sich gleichmäßig auf Stadt und Land
erstrecken, nur große Städte sollten Kreise für
sich bilden. Diese Kreise sollten nicht nur Ver-
waltungsbezirke, sondern auch Kommunalver=
bände sein, inebesondere sollten alle diejenigen
Kommunalangelegenheiten zu ihrer Zuständig-
keit gehören, welche mehr als drei Gemeinden
interessierten. Jeder Kreis sollte seine Kom-
munalangelegenheiten durch ein aus dem Kreis-
direktor als Vorsitzendem, dem Stadtrichter der
Kreisstadt und je zwei Abgeordneten der Ritter-
gutsbesitzer, der Städte und der Bauern zu-
sammengesetztes Kollegium „die Kreisverwal-
tung“ unter Aufsicht des Staates verwalten.
Neben der Leitung der Kreiskommunalverwaltung
sollte dem Kreisdirektor die gesamte innere Staats-
verwaltung im Kreise mit Ausnahme der Landes-
kulturangelegenheiten obliegen, besonders sollte
er die erste Instanz der Landespolizeiverwaltung
und die Oberbehörde der Gemeinde= und Lokal-
polizei sein. Daher wurde ihm für die Zwecke
der Exekution in der Gendarmerie eine bewaff-
nete Macht beigegeben. Die Kreisdirektoren.
sollten vom Staate angestellt werden, und zwar
ohne eine vorangehende Wahl durch die Kreis-
stände, und ohne daß es einer weiteren Quali-
fikation bedurste. E. Meier, S. 423 ff., bes.
S.438, 439; v. Stengel, Organisation, S. 88 ff.
2* §§. 33—36 der Vdg.
4 Abgedruckt bei E. Meier, S. 444 ff.,
Anm. 96.
* Die Instr. ist abgedruckt in den Ergänz.
u. Erläut. d. preuß. Rechtsbücher von Gräff,
v. Rönne u. s. w., 2. Aufl., VI, S. 191 ff.,
und auch im Anhang bei Mascher, Das In-
stitut der Landräte in Preußen (1868). Der
M. Erl. v. 24. Nov. 1822 ist abgedruckt in
v. Kamptz, Ann., VI, S. 929. Vgl. auch
v. Rönne, St. R. d. preuß. Monarchie, 4. Aufl.,