Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

368 Dritter Abschnitt. (8. 103.) 
gemeinden eines Kreises konnten gewöhnlich zusammen nur drei Deputierte entsenden. 
Das übergewicht des ersten Standes erhellt noch deutlicher aus dem Verhältnis folgen- 
der Zahlen: alle Kreisversammlungen zählten in ihrer Zusammensetzung nach diesen Kreis- 
ordnungen 11,945 Mitglieder, darunter waren Rittergutsbesitzer mit Virilstimmen rund 
10,000, Deputierte der Städte nur 970 und Deputierte der Landgemeinden nur 975.1 
Persönliches Erfordernis aller Kreisversammlungsmitglieder, der virilstimmberechtig- 
ten Rittergutsbesitzer wie der Deputierten, war: Gemeinschaft mit einer der christlichen 
Kirchen, Vollendung des 24. Lebensjahres und unbescholtener Ruf. Adeliger Stand war 
für die Rittergutsbesitzer schon seit 1808 nicht mehr Voraussetzung für die Ausübung 
ständischer Rechte. Die Deputierten der Stadtgemeinden waren regelmäßig von den 
städtischen Behörden aus den Mitgliedern des Magistrats oder der Gemeindevertretung 
zu wählen, die Deputierten der Landgemeinden aus den wirklich im Dienste befind- 
lichen, das entsprechende bäuerliche Grundeigentum besitzenden Schulzen und Dorfrichtern. 
Für jeden Deputierten wurde ein Stellvertreter gewählt; die Rittergutsbesitzer konnten 
sich nach näherer Vorschrift der Gesetze vertreten lassen. Alle Wahlen zu den Kreis- 
tagen erfolgten in Brandenburg, Pommern und Sachsen auf Lebenszeit (jedoch 
konnte der Gewählte das Mandat nach drei Jahren niederlegen), in den übrigen Pro- 
vinzen auf sechs Jahre mit der Maßgabe, daß alle drei Jahre die Hälfte ausschied. 
Eine Verpflichtung zur Annahme der Wahl bestand nirgends. 
Die Kreisversammlung war von dem Landrat und bei dessen Verhinderung von 
dem ältesten Kreisdeputierten unter Mitteilung der Beratungsgegenstände zu berufen, und 
zwar mindestens einmal jährlich. Die Stände verhandelten gemeinschaftlich und faßten 
ihre Beschlüsse nach Stimmenmehrheit. Der Landrat führte den Vorsitz, leitete die Ver- 
handlungen und handhabte die Sitzungspolizei, eine Stimme hatte er aber nur, wenn 
er zugleich Kreisstand war. Bei Stimmengleichheit entschied, wenn der Landrat stimm- 
fähig war, die Stimme des Landrats, sonst die des ältesten Kreisdeputierten. Glaubte 
sich ein ganzer Stand durch einen Beschluß in seinen Interessen verletzt, so stand ihm 
mittels Einreichung eines Separatvotums der Rekurs an diejenige Behörde zu, von 
welcher die Angelegenheit ressortierte. 
Die Ausführung der Beschlüsse, welche meistens der Bestätigung durch die Regie- 
rung bedurften, lag in der Regel dem Landrat ob. 
g. 103. 
III. Die Reformbestrebungen in den Jahren 1848—67 und die Kreisverfassung 
in den neuen Provinzen. 
I. Die Kreisordnungen der zwanziger Jahre beruhten von Anfang an auf ver- 
alteten Grundsätzen, sie setzten Zustände voraus, die sich längst überlebt hatten. Das 
übergewicht des Großgrundbesitzes, welches den Einfluß der beiden anderen Stände völlig 
zurückdrängte, und die Beschränkung der Selbstverwaltung der Kreise auf wenige gesetz- 
lich fixrierte Angelegenheiten paßten nicht mehr in den Staat, in dem die Stein-Harden- 
bergschen Ideen einmal Wurzel gefaßt und teilweise auch bereits Verwirklichung ge- 
funden hatten. Die neuen Kreisordnungen entsprachen ebensowenig den veränderten wirt- 
schaftlichen und sozialen Verhältnissen der neueren Zeit wie die alten Kreisstände des 
vorigen Jahrhunderts. Kein Wunder, daß auch sie von den Stürmen des Jahres 1848 
erfaßt wurden und wenigstens vorübergehend einer anderen Kreisverfassung Platz machen 
mußten. Es war zu natürlich, daß der zum Siege gelangte Liberalismus eine ständische 
Vertretung nicht dulden konnte, welche sich als einseitige Interessenvertretung des Grund- 
besitzes charakterisierte, jeden entscheidenden Einfluß des Kapitalbesitzes aber ausschloß. 
  
1 Schulze, I, S. 500. ländlichen Polizeiverfassung (Berlin 1867); 
* Vgl. die Litteraturangaben zu §. 101, und v. Stengel, Organisation, S. 134, 135 u. 138 f. 
Lette, Zur Reform der Kreisordnung und
	        
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