Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

Kreisgemeinden; geschichtliche Entwickelung der Kreisgemeinden. (§. 103.) 369 
Und es war auch notwendig, diese alten, dem absoluten Ständestaat angehörigen Ver- 
tretungen zu beseitigen, um die Verfassung und Verwaltung der Kreise in Einklang zu 
bringen mit der Verfassung und Verwaltung des modernen konstitutionellen Staates. 
Den ersten gesetzlichen Ausdruck fanden diese Bestrebungen und Gedanken in dem 
Art. 105 der Verfassungsurkunde, welcher für die Reform der Kreisverfassung folgende 
Grundsätze aufstellte: 
1) Über die inneren und besonderen Angelegenheiten der Kreise beschließen aus 
gewählten Vertretern bestehende Versammlungen, deren Beschlüsse durch die Vorsteher der 
Kreise ausgeführt werden. In den gesetzlich bestimmten Fällen bedürfen die Beschlüsse 
der Kreisvertretung der Genehmigung einer höheren Vertretung oder der Staatsregierung. 
2) Die Vorsteher der Kreise werden vom Könige ernannt. 
3) Die Beratungen der Kreisvertretungen sind öffentlich. Die Ausnahmen bestimmt 
das Gesetz. Über Einnahmen und Ausgaben muß wenigstens jährlich ein Bericht ver- 
öffentlicht werden. 
In Ausführung dieser Vorschriften erging dann unter dem 11. März 1850 eine 
Kreis-, Bezirks= und Provinzialordnung für den ganzen Umfang der Monarchie.! 
Diese behielt die Kreise in ihrem bisherigen Umfange als Kommunalverbände 
und Verwaltungsbezirke bei, regelte aber abweichend vom bisherigen Rechte die Zusammen- 
setzung und die Kompetenz der Kreistage und die Stellung der Landräte und schuf 
in den Kreisausschüssen neue Verwaltungsorgane. Im einzelnen enthielt sie folgende 
charakteristische Vorschriften: Die Kreisversammlung besteht aus 15—40 Abgeordneten, 
die sämtlich von den Gemeindevertretungen auf sechs Jahre mit Ausscheiden je eines 
Dritteils von zwei zu zwei Jahren zu wählen sind. Wählbar ist jeder Gemeindewähler 
des Kreises, der das 30. Lebensjahr vollendet, dem Kreise drei Jahre durch Grundbesitz 
oder Wohnsitz angehört hat und einen Klassensteuersatz von 18 Thlrn. zahlt oder in 
mahl= und schlachtsteuerpflichtigen Orten einen Grundbesitz im Werte von mindestens 
5000 Thlrn. oder ein jährliches reines Einkommen von mindestens 500 Thlrn. nach- 
weist. Die Kreisversammlung darf nur über Kommunalangelegenheiten Beschlüsse fassen, 
verpflichtet aber durch diese alle Angehörigen des Kreises. Sie kann Ausgaben und 
Kreissteuern beschließen und auf die Gemeinden verteilen; eine ministerielle Genehmigung 
ist erforderlich, wenn die Beiträge der Gemeinden länger als drei Jahre fortdauern oder 
10 Prozent der direkten Staatssteuern übersteigen sollen. Die Kreisversammlung tritt 
alljährlich in der ersten Hälfte des März zu einer ordentlichen Sitzung zusammen, zu 
außerordentlichen Sitzungen außerdem, so oft es der Landrat für erforderlich erachtet 
oder ein Vierteil der Mitglieder es verlangt. Den Vorsitzenden wählt die Versammlung 
aus ihrer Mitte; der Landrat wird einseitig vom Könige ernannt. Mitglied der Kreis- 
versammlung wird er nur auf Grund besonderer Wahl, ohne diese nimmt er der Ver- 
sammlung gegenüber die Stellung eines Regierungskommissars ein, der auf Verlangen 
jederzeit gehört werden muß und kompetenz= wie gesetzwidrige Beschlüsse zu beanstanden hat. 
Als das eigentlich verwaltende Organ des Kreises ist der Kreisausschuß gedacht, welcher 
aus dem Landrat und vier von der Kreisversammlung aus ihrer Mitte auf sechs Jahre 
gewählten Mitgliedern besteht. Er bereitet die Beschlüsse der Kreisversammlung vor, 
führt sie aus und vertritt den Kreis als Kommunalverband nach außen; an der allge- 
meinen Landesverwaltung ist dieser Kreisausschuß nur insofern beteiligt, als ihm gewisse 
Aufsichtsrechte über die Gemeinden beigelegt sind. 
Eine praktische Bedeutung haben diese Vorschriften nur in sehr geringem Umfange 
erhalten. Sie waren noch nicht einmal vollkommen zum Vollzuge gelangt, da sistierte 
infolge der wieder stärker gewordenen reaktionären Strömung der bereits oben S. 38 er- 
wähnte königliche Erlaß v. 19. Juni 1852 ihre weitere Ausführung. Im Anschluß an 
diesen ergingen dann die beiden gleichfalls erwähnten Gesetze v. 24. Mai 1853, welche 
die Kreis= u. s. w. Ordnung und ihre verfassungsmäßige Grundlage, den Art. 105, auf- 
  
1 Bornhack, Gesch., III, S. 242 ff.; v.] a. d. H.), S. 319 ff. (hier sind die Motive des 
Rönne, Die Gemeindeordnung und die Kreis-,Gesetzes mitgeteilt, und das Gesetz selbst ist kurz 
Bezirks. und Provinzialordnung für den preu- kommentiert). 
ßischen Staat v. 11. März 1850 (Brandenburg 
Schoen. 24
	        
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