Kreisgemeinden; geschichtliche Entwickelung der Kreisgemeinden. (§. 103.) 371
Abgeordnetenhaus im Hinblick auf den obschwebenden Verfassungskonflikt, auf die Be-
ratung des Entwurfs „unter den obwaltenden politischen Verhältnissen“ nicht einzugehen.
Damit waren auch die von der Volksvertretung ausgehenden Reformbestrebungen
beendet. Es blieb bei dem alten ständischen System, ja dieses wurde im Jahre 1867
auch auf die neuerworbenen Landesteile ausgedehnt.
II. Die Provinzen Hannover, Schleswig-Holstein und Hessen-Nassau
erhielten noch im Jahre 1867 Kreisverfassungen nach altpreußischem Muster. Die
Provinzen wurden in Kreise eingeteilt, diesen die Rechte öffentlicher Korpora-=
tienen beigelegt und in den Kreisständen besondere Vertretungsorgane gegeben.
1) Die Provinz Hannover war zur Zeit ihrer Einverleibung in den preußischen
Staat in Amtsbezirke eingeteilt?, deren jeder mehrere Gemeinden umfaßte. An der
Spitze des Amtsbezirks stand ein Amtshauptmann, der vom Könige ernannt wurde, eine
Besoldung bezog und eine Anzahl örtlicher Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung
zu besorgen hatte, insbesondere lag ihm auch die Aufsicht über die zum Amtsbezirk
gehörigen Gemeinden und die gesamte Polizeiverwaltung des Amtsbezirks ob. Dem
Amtmann zur Seite stand eine Amtsversammlung #, bestehend aus den Vorstehern der
Landgemeinden und den Besitzern bezw. Vertretern der größeren Güter; sie hatte mit
dem Amte über wichtigere polizeiliche Angelegenheiten des Bezirks zu beraten und die
den Gemeinden des Bezirks gemeinschaftlichen Angelegenheiten der Regierung gegen-
über zu vertreten. Der Amtshauptmann war staatlicher Verwaltungsbeamter, der Amts-
bezirk war in erster Linie staatlicher Verwaltungsbezirk, er konnte jedoch auch einen
Kommunalverband bilden, und dann bedurfte es zur Errichtung gemeinnütziger Anstalten
und zur Ausschreibung von Kommunalsteuern für das Amt der Zustimmung der Amts-
vertretung. Die preußische Verordnung vom 12. Sept. 1867 (G. S., S. 1497) be-
treffend die Amts= und Kreisverfassung der Provinz Hannover ließ diese Verhältnisse
fortbestehen, bestimmte jedoch, daß für weitere Verwaltungszwecke durch Zusammenlegung
von Amtsbezirken und selbständigen Städten Kreise gebildet werden sollten. An der
Spitze des Kreises sollte ein von dem Minister des Innern unter königlicher Geneh-
migung mit der Wahrnehmung der den ganzen Kreis umfassenden Geschäfte beauftragter
Amtshauptmann des Kreises stehen, welchem für die Dauer dieses Auftrages der Titel
Kreishauptmann beigelegt wurde. — In der Provinz Schleswig-Holstein wurde
unter Beseitigung der vorgefundenen Ämterverfassung das Land durch Verordnung v.
22. Sept. 1867 (G. S., S. 1587) in Kreise eingeteilt, von denen jeder mehrere Städte,
Flecken, Gutsherrschaften und Harden oder Kirchspiele umfaßte.“ Die zur Provinz
Hessen-Nassau vereinigten Gebietsteile waren zu staatlichen Verwaltungszwecken bereits
durch die Verordnung v. 22. Febr. 1867 (G. S., S. 273) in Kreise eingeteilt worden,
und zwar behielt man dabei im Regierungsbezirk Kassel fast durchweg die ältere kur-
hessische Kreiseinteilung bei, während im Regierungsbezirk Wiesbaden gewöhnlich mehrere
nassauische Amter zu einem Kreise verbunden wurden 5; zu korporativen Verbänden wurden
diese Kreise erst durch die Verordnungen v. 9. und 26. Sept. 1867 (G. S., S. 1473
u. 1653).6 An die Spitze jedes ländlichen Kreises wurde in Schleswig-Holstein
wie in Hessen-Nassau ein Landrat gestellt, welcher, vorbehaltlich der Einführung
eines Präsentationsrechtes seitens der Kreisvertretung, vom Könige ernannt wurde.7
1 Vgl. den Ber. der Kommission für das Ge-
meindewesen v. 22. April 1865 (Drucks. des
A. H. 1865, Nr. 115, und Stenogr. Ber. des-
selben 1865, Anl., Bd. VI, Nr. 115, S. 1003)
und die Plenarverhandlung v. 6. Mai 1865
(Stenogr. Ber. des A. H. 1865, Bd. II, S.
1389 ff.). Auch die Regierung bielt nach einer
Erklärung in der Kommission den Zeitpunkt
nicht für geeignet, „um wichtige Reformen auf
dem Gebiete der organischen Gesetzgebung mit
Erfolg anzubahnen und durchzuführen“.
: Vdg. v. 27. März 1859 (hann. G. S..,
Abt. 1. S. 175). Revidierte Amtsordnung v.
10. Mai 1859 (hann. G. S., Abt. I, S. 484).
Ges. v. 28. April 1859 betr. die Amtsver-
tretungen (hann. G. S., Abt. I, S. 423) u.
Ausf. Bek. des Min. des Innern von demselben
Tage (a. a. O., S. 431).
4 §. 1 der Vdg. v. 22. Sept. 1867 und An-
lage A derselben.
5 8§s. 3 u. 4 der Vdg. v. 22. Febr. 1867.
* Vgl. §. 1 dieser Verordnungen.
7 F. 7 der Vdg. v. 22. Febr. 1867 u. §. 2 der
Vdg. v. 22. Sept. 1867. Für die Stadtkreise
wurden die landrätlichen Funktionen dem Ge-
meindevorstande bezw. dem Polizeipräsidenten
übertragen.
24*