Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

Ortsgemeinden; geschichtliche Eutwickelung der Ortsgemeinden. (F. 6.) 25 
B. Die wesentlichsten Grundzüge der Städteordnung von 1808 sind folgende: 
I. Alle Städte sind nach ihrer Größe in drei Klassen eingeteilt: große (unter Aus- 
schluß des Militärs 10,000 Seelen und darüber), mittlere (3500—10,000 Seelen) und 
lleine (weniger als 3500 Seelen). Der Unterschied zwischen Mediat= und Immediat- 
städten ist aufgehoben und das Stadtrecht auch auf die Vorstädte ausgedehnt. 1 
II. Die Einwohner sind nur noch in Bürger und Schutzverwandte eingeteilt; 
alle Nichtbürger gehören zu letzteren. 
Das Bürgerrecht, dessen Erwerb wie früher die notwendige Voraussetzung für 
den Betrieb städtischer Gewerbe und den Besitz städtischer Grundstücke ist, darf keinem 
ansässigen unbescholtenen Manne — wie auch keiner unverheirateten Frauensperson unter 
gleichen Voraussetzungen — versagt werden. Es wird vom Magistrat des Orts er- 
teilt. Ausgeschlossen vom Erwerbe des Bürgerrechts sind Personen, die solche Ver- 
brechen begangen haben, welche den Verlust des Bürgerrechts nach sich ziehen, die zu 
längerer Freiheitsstrafe verurteilt sind, sich im Konkurse, in Kriminaluntersuchung oder 
unter Kuratel befinden. Zu geringeren Strafen Verurteilten oder vorläufig Frei- 
gesprochenen muß das Bürgerrecht auf Verlangen der Stadtverordneten versagt werden. 
Verloren geht das Bürgerrecht wegen bestimmter schwerer Verbrechen und bei jeder 
dritten Krimiyalbestrafung; durch Beschluß der Stadtverordneten kann es bei jeder 
Kriminalbestrafung und bei Verdächtigung „durch niederträchtige Handlungen“ entzogen 
werden. Durch Verlegung des Wohnsitzes geht es verloren, wenn man nicht binnen 
drei Monaten die Beibehaltung beantragt, durch bloße Entfernung aus der Stadt ohne 
neue Begründung eines Wohnsitzes innerhalb zwei Jahren. 
Die Bürger und die Schutzverwandten haben die städtischen Lasten zu tragen; per- 
sönliche wie dingliche Befreiungen von diesen dürfen nicht erteilt werden; bestehende 
Realprivilegien kann die Stadt ablösen. Die Bürger sind ferner zur Übernahme un- 
besoldeter städtischer ÄAmter sowie spezieller Aufträge des Magistrats verpflichtet. Weigerung 
ohne gesetzlich anerkannten Entschuldigungsgrund (fortdauernde Krankheit, Reisen, die 
lange Abwesenheit notwendig machen, Alter über 60 Jahre u. s. w.) wird je nach Be- 
schluß der Stadtverordneten mit Verlust der städtischen Ehrenrechte oder mit um ein 
Sechstel bis ein Drittel stärkerer Heranziehung zu den Gemeindelasten bestraft. 
III. Die Städteordnung hat die letzten Reste der allgemeinen Bürgerversammlung 
beseitigt und das Repräsentativsystem vollständig durchgeführt, weil — wie sie sagt — 
eine Stadtgemeinde aus zu vielen Mitgliedern besteht, als daß ihre Stimmen über 
öffentliche Angelegenheiten jedesmal einzeln vernommen werden könnten. „Von allen 
nach Inhalt dieser Ordnung der Stadtgemeinde beigelegten oder derselben sonst zu- 
stehenden Rechten wird einzig und allein die Befugnis der Stadtverordnetenwahl ven 
der Stadtgemeinde in der Gesamtheit ausgeübt. Alle übrigen, innere sowohl als äußere 
Angelegenheiten der Stadtgemeinde werden durch Beratschlagungen und Schlüsse ihrer 
.. erwählten Stadtverordneten angeordnet, es mögen diese Angelegenheiten die Stadt- 
gemeinde als eine moralische Person betrachtet oder die Mitglieder derselben als solche 
betreffen.““ 
Die rechtliche Stellung dieser Stadtverordneten, deren Zahl in großen Städten 
60—102, in mittleren 36—60, in kleinen 24—36 betragen soll, ist jedoch eine wesent- 
lich andere wie die der landrechtlichen Repräsentanten. Prinzipiell wird jeder Stadt- 
verordnete nicht von den einzelnen Bürgern gewählt, die in dem Bezirke, für welchen er 
aufgestellt war, ihm ihre Stimme gegeben haben, sondern von der Gesamtheit aller 
Bürger. Jeder Stadtverordnete vertritt daher die ganze Bürgerschaft, nicht den einzelnen 
Bezirk, nicht wie nach dem Landrecht eine Zunft oder Korporation. Hiermit steht in 
engem Zusammenhange der wichtigste Fortschritt der Städteordnung bezüglich der Stadt- 
verordneten gegenüber der frühern Gesetzgebung, das Aufgeben des privatrechtlichen Ver- 
hältnisses zwischen den Bürgervertretern und ihren Wählern. „Die Stadtverordneten 
erhalten durch ihre Wahl die unbeschränkte Vollmacht in allen Angelegenheiten des 
Gemeinwesens der Stadt, die Bürgergemeinde zu vertreten, sämtliche Gemeindeangelegen- 
  
St. O., §§. 9, 10. 1 : St. O., §§. 15—39, 41—45. 
St. O., 88. 5, 6, 14, 40. St. O., F. 67, 68.
	        
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